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03 Oct
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Als Job-Plattform für Arbeitsplätze am Bau wurde Crafthunt vor fast drei Jahren gegründet. Baggerfahrer, Kranführer, Handwerker, Bau- und Projektleiter werden händeringend gesucht. Das Münchner Start-up will aber auch mit dem Einsatz generativer Künstlicher Intelligenz Prozesse in der Bauindustrie automatisieren und mit einem KI-Assistenten den Firmen Arbeit abnehmen. Im April hat es das professionelle Tool BauGPT Pro eingeführt. Die Resonanz ist so groß, dass Crafthunt sich vor zwei Wochen in BauGPT umbenannt hat. Ein neues Geschäftsfeld entsteht, ohne das Recruiting als Lösung gegen den sich zuspitzenden Fachkräftemangel aus dem Auge zu verlieren. Personal ist knapp, also müssen die Beschäftigten sich auf das wesentliche konzentrieren und von notwendiger, zeitraubender Routine entlastet werden. Die Gründer verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz in einer Branche, in der Digitalisierung noch nicht so richtig Einzug gehalten hat.

München, 3. Oktober 2025 - Von Rüdiger Köhn

Seitdem Anna Hocker, Jonas Stamm und Patrick Christ das Start-up Crafthunt als eine Karriereplattform für den Bau betreiben, haben sie viele Fachkräfte - Baggerfahrer, Kranführer, Betonbauer, Projekt- und Bauleiter, Stahlbetonbauer - für Festanstellungen vermittelt. Mehr als 70.000 Menschen haben ihr Profil auf Crafthunt platziert. Über 1000 Unternehmen, darunter große Firmen wie Geiger, Strabag, Implenia und Eiffage, wenden das KI-gesteuerte Onlineportal an. Schon bald nach Gründung des Start-ups im November 2022 reifte indes eine Erkenntnis: „Den chronischen und in Zukunft noch dringender werdenden Fachkräftemangel bekommt man nicht allein durch den Zugang zu den Leuten gelöst“, sagt Jonas Stamm. Für ihn ist wichtig, die Attraktivität des Baus insgesamt zu erhöhen, Beschäftigte und Unternehmen zu entlasten und Routineprozesse zu standardisieren - oder besser: zu automatisieren.

Diese Herausforderungen nehmen die drei Gründer an, als wäre es ihre Mission. Mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz wollen sie die komplexen, mitunter zeitraubenden, aufgrund von Regularien auch oftmals für viele nervenden Prozesse vereinfachen und effizienter gestalten. Ohne die Recruiting-Plattform Crafthunt aus dem Auge als ihr Kerngeschäft zu verlieren, hat sich das Münchner Start-up nach zweieinhalb Jahren gehäutet. „Ein KI-Assistent, der die Bau-Sprache versteht, deutsche Gesetze und Regeln kennt, bei Alltagsaufgaben Tempo reinbringt“, kündigt Stamm die Innovation an. Konsequent haben sie vor zwei Wochen Crafthunt in „BauGPT“ umbenannt. „Es braucht im Bau Innovationen, um die Produktivität zu steigern, womit die Künstliche Intelligenz ins Spiel kommt“, setzt Stamm ein Ausrufezeichen. Effizienz vorantreiben und Prozesse in einer mittelständisch, in großen Teilen auch konservativ geprägten Branche zu automatisieren.

               Jonas Stamm, Anna Hocker, Patrick Christ (v.l.)                                       Fotos BauGPT

„Zuviel Know How ist in Köpfen und in vielen verstreuten Dateien verborgen“, beklagt er. Diesen Schatz zu heben und für alle nutzbar zu machen, hat sich BauGPT vorgenommen. Nicht zuletzt auch, um Leiden zu lindern. „Baurecht kann so ein Kopfschmerz sein“, fasst er eines der großen Probleme in der Branche holzschnittartig zusammen. Unüberschaubar, wenig praxisnah, nicht greifbar. Da scrollen Bauleiter Paragraphen durch endlose Landesbauverordnungen, als dass sie sich eigentlich Bauprojekte operativ leiten sollten. 2023 gab es als erste Version den kostenlosen KI-Assistenten BauGPT, gedacht für die Vorbereitung, Hilfestellung und Qualifizierung von Bewerber.

Seit der Baumaschinenmesse Bauma im April dieses Jahres gibt es die professionelle Version BauGPT Pro, ein Bezahl-Abonnement (SaaS, Software-as-a-Service). Die hat schon in wenigen Monaten so viel Resonanz gefunden, dass sich die Gründer in ihrer Grundidee bestärkt gesehen haben, daraus ein Geschäftsmodell zu machen und damit ein breiteres Fundament zu schaffen; neben der Recruiting-Plattform, die nun einmal auch von den im Bau typischen zyklischen Schwankungen beeinflusst ist. Die Namensänderung deutet darauf hin, dass sich langfristig die Akzente zugunsten des KI-Assistenten verschieben dürften.

Lange Warteliste für BauGPT Pro

Die Warteliste der Interessenten, die von derzeit insgesamt 20 Mitarbeitern beraten werden und ein Onboarding machen müssen, ist lang; Über ein Hundert Interessenten stehen Schlange. Allein das zeigt, wie groß das Interesse ist und auch welchen Handlungsbedarf es in der Baubranche gibt. Schon die kostenlose Plattform BauGPT hatte in der kurzen Zeit mehr als 3000 Nutzer gehabt, zusätzlich über 750 Unternehmen.

Das System erkennt lokale Standards in den Ländern Deutschland, Schweiz und Österreich, kann so Licht in ein fast undurchschaubares Dickicht von Vorschriften und Regularien schaffen. Firmendateien können hochgeladen werden, Verträge, Richtlinien, Rechnungen und E-Mails sollen in Sekundenschnelle an einem zentralen Ort gefunden werden. Sicherheitsvorschriften für Kräne und Baumaschinen gehören ebenso dazu, was deren Zulassung vereinfacht. Externe und interne Dokumentationen über Sicherheitschecks oder andere wichtige Unterlagen werden digital archiviert, Leistungsverträge aus Vorlagen erstellt, Materiallisten verwaltet. Routinearbeiten und wiederkehrende Prozesse wie Erstellen von Angeboten, Berichten, E-Mails, Briefen, Protokolle und Kalkulationen sind automatisiert zu erledigen. Die Zuverlässigkeit ist größer, da manuelle Fehler vermieden werden. Was normalerweise zwei oder drei Tage dauere, könne in wenigen Stunden erledigt werden, sagt Stamm. Den Mitarbeitern bliebe also viel mehr Zeit für ihre Haupttätigkeit.

Diese KI-gestützte Automatisierung geht weit über die Dimension hinaus, bloß Arbeitsprozesse zu vereinfachen. „Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz“, kommt Anna Hocker ins Spiel, die anders als Stamm und Christ nicht von der Technik-, sondern von der Management-Seite kommt. „Der Mangel an Fachkräften wird sich in den nächsten fünf Jahren verschärfen, wenn nämlich etwa 30 Prozent von ihnen in Rente gehen“, sagt sie. Das sind schätzungsweise auf europäische Ebene rund 3,8 Millionen Menschen. Der Verband der deutschen Bauinustrie hat erst im Frühsommer in einer Umfrage darauf hingewiesen, dass 64 Prozent der befragtern Unternehmen im Fachkräftemangel ein Risiko für ihre wirtschaftliche Entwicklung sehen. „Das Problem wird man nicht mit noch so schlauestem Einsatz von Matching- und Recruiting-Methoden ersetzen können“, stellt Hocker fest.

Ressourcen seien knapp, ob Zeit, Geld oder Fachkräfte, intoniert Jonas Stamm. „Die Herausforderungen können wir also nur bewältigen, wenn sich die Mitarbeiter auf das Wichtige und Wesentliche konzentrieren können.“ Und über KI unnötigen Ballast abwerfen. Die Herausforderung ist groß, weil viele der kleinen und mittelständischen Firmen, die die Baubranche prägen, nur geringen Zugang zu Digitalisierung und KI haben.

Auslöser für die Entwicklung von BauGPT war das Feedback von über 150 Studenten im Bauingenieur-Wesen, die Stamm damals an Universitäten befragt hat. Deren Urteil fiel vernichtend aus. Kompliziertes Baurecht, unübersichtliche Landesbauverordnungen, ein Dickicht von DIN-Normen haben viele verzweifeln lassen. Manche fragten sich, ob sie das Studium überhaupt fortsetzen sollten. „Die wollen Bauprojekte leiten und sich nicht durch Paragraphen kämpfen“, sagt Stamm - und machte sich, ganz Nerd, flugs an die Entwicklung einer Software.

KI schon für Crafthunt elementar

KI ist von Anfang an wesentlicher Bestandteil von Crafthunt gewesen, was zum Erfolg der Plattform geführt hat und den enormen Bedarf aufgezeigt hat. Wie so oft tickt der kleinteilige Bau im Vergleich zu vielen anderen Wirtschaftszweigen anders. Stellenangebote und -gesuche sind im Gegensatz zur Autoindustrie oder im kaufmännischen Bereich nicht ohne weiteres in Kategorien zu stecken, können Anforderungen und Profile sehr speziell sein, zumal angesichts der Struktur es einen auf viele Regionen verteilten riesigen Flickenteppich gibt. Da wird dann ein Bauleiter mit Expertise in Starkstrom-Installationen im Großraum Berlin gesucht oder ein Baggerfahrer und Kranführer mit besonderen Kenntnissen in der hintersten ländlichen Gegend. Es gibt verschiedene Formulierungen, die eine ähnliche Aufgabe beschreiben; wenn es zum Beispiel um Strom- oder Starkstrom-Installationen geht. 

Der Prozess für Unternehmen wie für Arbeitssuchende Kandidaten ist einfach komplizierter und anspruchsvoller „Mit herkömmlichen Job-Plattformen ist da nur schwer beizukommen“, sagt Jonas Stamm. „KI gleicht alle verfügbaren Informationen ab, stellt den nötigen Kontext her, um ein Match zu erreichen, fast so etwas wie eine Dating-Plattform“, lacht er.

                                             Jonas Stamm

Stamm hatte im Sommer 2022 die Idee, die Fachkräfte-Misere in Bau und Handwerk anzugehen; ausgerechnet er: der Anti-Handwerker, der mit den zwei linken Händen, dem seine Familie stets abgeraten hat, Hammer oder Schraubenschlüssel in die Hand zu nehmen. Doch er stammt aus einer Unternehmerfamilie, die im Bau tätig ist. Der Vater betreibt eine Hochbau-, der Bruder eine Tiefbaufirma. Junior und Bruder Jonas ist mehr der Nerd, der Informatik studiert hat und begnadeter Software-Entwickler ist, immer nah am Familienbetrieb. Sein Bruder hatte ein Bau-Unternehmen übernommen, wobei dessen Verkäufer auf das Risiko hingewiesen hatte, dass in den folgenden Jahren 20 bis 30 Prozent der Mitarbeiter in Rente gehen würde. Für die Firma eine tickende Zeitbombe.

Jonas Stamm wusste, dass es in Polen viele Fachkräfte gibt. Er machte sich daran, eine Website und eine App auf polnisch zu basteln, um Suchende am Bau mit deutschen Unternehmen auf seine „Matchmaking-Plattform“ zusammenzubringen. Das Grobe im Sprachlichen machte er mit Hilfe von ChatGPT, den Feinschliff übernahm seine Frau, eine geborene Polin. In den ersten Wochen lief nicht viel. Wie aus dem Nichts kamen plötzlich Hunderte von Anfragen hinein. Schnell vermittelte er vier Baggerfahrer für einen festen Job, auch einen für die Firma seines Bruders. Alle vier seien schließlich mit ihren Familien nach Deutschland gezogen.

Stamm, heute 33 Jahre, entwickelte den Prototypen weiter, promotete ihn etwa über LinkedIn. Es kamen immer mehr interessierte Unternehmen hinzu, bis schnell mit 40 Teilnehmern auf der Plattform die kritische Masse erreicht worden sei. Der Punkt war erreicht, aus der Ein-Mann-Show mehr zu machen, einen strategischen Partner zu finden, der Geld einbringt. Er sprach Patrick Christ, 36 Jahre, an, den er bereits einige Jahre gekannt hat, etwa von Baumessen.

                                                 Patrick Christ

Christ, der an der TU München Ingenieur mit Schwerpunkt Digitalisierung und KI studiert hat, hatte da bereits den cloudbasierten Baudienstleister CAPMO gegründet, stieg dann im Zuge einer Serie-B-Finanzierung aus. Eigentlich sollte er sich als Investor engagieren und Kontakte zu anderen Geldgebern knüpfen. Doch ist er so angetan von Stamms Projekt gewesen, dass er Anfang 2023 bei Crafthunt eingestiegen ist, nicht nur als Investor, sondern auch als Vertriebsvorstand.

Als Dritte kam im Oktober 2023 Anna Hocker hinzu, 33 Jahre, hinzu. Sie hat an der TU Dortmund und TU München Wirtschaftsinformatik studiert. Während Jonas und Patrick als IT- und Software-Experten im Hintergrund die Entwicklung vorangetrieben haben, hat Hocker die Management- und Strategie-Kompetenz eingebracht. „Und den Human Touch“, wie Stamm grinsend einwirft; Kompetenz und Erfahrungen in dem Metier sollten im Geschäft des Recruitings ja dazu gehören. Hocker, aus einer Unternehmerfamilie stammend und immer wieder mit Selbständigkeit liebäugelnd, hat nach dem Studium erst einmal berufliche Erfahrungen sammeln und professionell arbeiten wollen. Sie begann 2017 bei der Unternehmensberatung McKinsey als Consultant, zuständig für Digital und HighTech, hatte aber auch immer wieder Bezug zu Personal- und HR-Themen. Sie wechselte später zu Spencer Stuart.

                                                 Anna Hocker

Zunehmend kribbelte es, etwas eigenes „im People-Bereich“ aufzubauen - bis über Freunde der Kontakt zu Jonas Stamm zustande kam. „Interessant, wenn Techies am Werk sind und dann jemand hinzukommt, der Business reinbringt“, lacht Hocker. Sie weiß sich nicht nur im Job, sondern auch im privaten Leben bestens zu organisieren. Muss sie auch: als Mutter eines einjährigen Sohnes, mit einem Partner zusammen, der selbst unter die gestressten Gründer gegangen ist und das Münchner Start-up ecoplanet aufgebaut hat. (siehe auch: "Ecoplanet: Mit KI durchs Energieuniversum" vom 20. Januar 2025, https://www.passion4tech.de/blog/accure-auf-daten-schatzsuche-im-akku-2)

Die Zäsur mit der Umbenennung von Crafthunt in BauGPT geht einher mit den nun sich herauskristallisierenden Wachstums- und Ausbauzielen, nicht allein was den neuen Kern KI-Assistenz angeht. Zwar gibt es im Markt Wettbewerber, etwa mit PowerUS als deutlich größeren Konkurrenten. Mit einem „konsequenteren Einsatz von Technik und KI“ (Hocker) versuche man, sich über einen spezielleren Weg abzusetzen. Die Positionierung mit BauGPT ist für Jonas Stamm das Alleinstellungsmerkmal.

Expansion in Europa und USA

Angesichts der Pläne rückt das Thema Finanzierung in den Vordergrund. Geld generiert hat Crafthunt schon einen Monat nach dem Start. Heute erreicht der wiederkehrende Umsatz aus den SaaS-Einnahmen mehr als 1 Million Euro. Im vergangenen Jahr hat es eine Seed-Runde über 3 Millionen Euro gegeben, an der sich UVC Partners, Redstone, Family Offices und Business Angels wie Markus Wolsdorf, dem Gründer von Interhyp, Finanztip und des Start-up-Investors HW Capital.
Anvisiert wird eine Finanzierungsrunde im nächsten Jahr. Konkret als nächstes Ziel wird die europäische Expansion der Recruiting-Plattform angestrebt, um das erhebliche Potential zu heben. In Spanien, Portugal, Griechenland und Türkei gebe es viele, gern gesehene Fachkräfte. Auch Frankreich steht im Fokus, obwohl der Markt komplexer ist.

Endgültig zur Investment-Story reift die Absicht, in den riesigen, attraktiven Markt USA hinein zu gehen. „Wir befinden uns da in der Analysephase“, sagt Stamm. Die Dimensionen seien ganz andere, wenn allein für einzelne Bauprojekte Zig-Tausende Mitarbeiter benötigt würden und Tausende Fachkräfte fehlten. Beginnen würde man in ausgewählten Regionen. Das werde ebenso noch geprüft wie der Zeitpunkt des Eintritts. Im Schlepptau dürfte sich damit auch die KI-Assistenten-Plattform befinden. Ungeahnte Möglichkeiten öffnen sich.

Dem Auf- und Ausbau scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Der chronische Mangel an Fachkräften im Bau, die notwendige Digitalisierung in der Branche, insbesondere die Erhöhung der Attraktivität als Arbeitgeber veranlassen Jonas Stamm selbstbewusst zur Feststellung, dass es genügend Arbeit für viele Job-Plattformen gibt: „Das ist kein Winner-Takers-It-All-Markt.“

https://baugpt.com/

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