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25 Jul
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Nur die Ruhe. Im  Hype um Künstliche Intelligenz geht es mitunter in Unternehmen hoch und nicht selten unkontrolliert her. Es entsteht für Heiko Müller und Luciano Radicce ein Wirrwarr, in das Ordnung hineinzubringen ist - weshalb sie die KI-Beratung Lazy Consulting gegründet haben. Sie bauen für kleine und mittelständische Unternehmen oder auch für Start-ups systematisch eine Infrastruktur ohne „KI-Gebastel" auf, und zwar auf allen Ebenen und für alle betroffenen Mitarbeiter. Durch den ganzheitlichen Ansatz in einem extrem komplexen KI-Transformationsprozess mit Beratung von oben nach unten und von unten nach oben - Bottom up, Top down - gehen sie einen eigenen Weg und bedienen sich dabei selbst der Generativen KI. 


München, 25. Juli 2025 -Von Rüdiger Köhn 

Hört man Heiko Müller und Luciano Radicce zu, drängt sich ein Eindruck von Chaos auf: ein wilder Haufen, der unbedingt was mit Künstlicher Intelligenz machen will - oder muss, weil ja alle anderen auch auf dem KI-Trip sind. Was mit KI machen! Die Effizienz im Unternehmen erhöhen, interne Prozesse und Entscheidungsfindungen verbessern, Daten-Tsunamis bewältigen statt mit Excell-Tabellen zu hantieren, neue Produkte und Dienstleistungen kreieren.

Klingt simpel. Wie aber das alles konkret umsetzen? Denn einen richtigen Plan, was zu tun ist, haben nur wenige. Findige Mitarbeiter hecken einen Super-Use-Case aus und wollen ihn umsetzen, doch die IT-Organisation steht ratlos davor und fragt sich, mit welcher Software; der Betriebsrat nimmt Hab-Acht-Stellung ein, befürchtet Stellenabbau und geht schon mal auf Konfrontationskurs.

Künstliche Intelligenz als „Kakophonie“

„Es entsteht ein Riesen-Wirrwarr“, sagt Heiko Müller, 52 Jahre, im früheren Leben Versicherungs- und Finanzmanager, und spricht von einer sich ausbreitenden „Kakophonie“. Für Luciano Radicce, 35 Jahre, seit seinem Studium selbständiger Unternehmer, gibt es in einer sich so rasant verändernden IT-Welt nur eine Lösung, nämlich dass sämtliche Mitarbeiter in einem Unternehmen auf eine Linie konsequent eingeschworen werden müssen. „Alle müssen mitziehen und sich dem Thema gemeinsam annehmen.“ Transformation ist für ihn eine ethische Angelegenheit. „Alle Organisationen im Unternehmen müssen verstehen, was KI ist und wie man sie täglich zum Vorteil aller nutzen kann.“ Es handele sich um ein strategisches Managementthema mit Folgen für Kulturen und Prozesse.

Müller und Radicce sind KI-Unternehmensberater. Ihr Credo lautet: Ruhe in den KI-Trubel reinzubringen und „KI-Gebastel“ (Müller) zu vermeiden. Ist es da Zufall, dass sie das im Februar 2023 gegründete Berater-Start-up Lazy Consulting getauft haben? Es betreut Unternehmen in der Transformation des Geschäfts- und Produktmanagements, bedient sich dabei selbst der Gernativen KI. 

               Heiko Müller (links) und Luciano Radicce                                                 Foto Rüdiger Köhn

Lazy entwickelt individuelle Strategien, klare Strukturen für Aufbau und Implementierung konkreter Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz. Die Münchner KI-Beratung adressiert Start-ups, kleine und mittelständische Firmen. In einem ersten Schritt hat sie Kunden im Medienbereich etwa mit PR- und Werbeagenturen wie Milk & Honey, rlevance, akima, pr://ip gefunden. Ebenso gehören kleine Mode-Labels zu den derzeit noch „zwei Hände voll Kunden“, die die beiden weitgehend alleine unterstützen, bei Bedarf aber auf ein Netzwerk von externen Beratern und Experten zurückgreifen.

KI könne Agenturen etwa bei Content Writing und Entscheidungsfindungen über Kommunikationsstile, Marketingstrategien, Newsletter- Generierung und -Automatisierung oder Suchmaschinenoptimierung (SEO) unterstützen, nennen die Gründer konkrete Anwendungen. Einfach auf ChatGPT zurückgreifen? Kommt nicht gut. Zu speziell seien schließlich die Herausforderungen und schlicht nicht „ChatGPT-compliant“, sagt Radicce. „Die Gefahr ist zu groß, dass diese halluziniere und damit kontraproduktiv werde.

Power-Point-Präsentation tabu

Die für Unternehmensberatungen typischen, standardisierten Power-Point-Präsentationen sind tabu. Konzepte und Geschäftslösungen werden gemeinsam mit Kunden entwickelt oder KI-Governance-Regeln formuliert. Vor Ort veranstalten die Consultants nicht allein KI-Workshops für Führungskräfte, sondern möglichst für alle Betroffenen, gibt es Prompt-Trainings für sie. Drei Monate lang können KI-Interimsleiter als Berater und Experten für die Einführung neuer KI-Prozesse zur Verfügung gestellt werden. „Wir haben eine Fülle von Parametern entwickelt, die bei Einführung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz zu beachten sind und nach den speziellen Anforderungen des Kunden sortiert werden“, beschreibt Müller den Lazy-Instrumentenkasten.

Streng genommen schreiben die in Art und Wesen so unterschiedlichen zwei Gründer ein Rezept für jeden Beratungsfall. Immer und grundsätzlich gilt, dass die so komplexe KI-Transformation ganzheitlich angegangen werden müsse, um eine Flut von neuen Produkten und Services mit allen zusätzlichen Herausforderungen in Organisationen, im Kunden- und Mitarbeitermanagement zu bewältigen.

Es geht Müller nicht allein um die Anwendungen, die das Unternehmen gemeinsam mit Lazy entwickelt und für die Radicce mit den von ihm entwickelten Tools Konzepte entwerfen kann.  Um alle einzubeziehen, müsse Verantwortung verteilt und delegiert, den Mitarbeitern Beinfreiheit eingeräumt und spezielle Budgets für die Einführung von KI vorgehalten werden. „Wir bauen systematisch eine strikte Infrastruktur für den Kunden auf.“

Das „Weiße-Blatt-Syndrom" vermeiden

Die gesamte Organisation zu durchdringen und zu überzeugen, sei Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung von KI. Dazu gehört, den Beschäftigten Sorgen zu nehmen und ihnen - noch wichtiger - aufzuzeigen, welche Möglichkeiten sich mit KI auftun. Schon mit einem ersten Entwurf könne es etwa gelingen, KI erlebbar zu machen, beispielsweise mit dem Bauen eines Prompts, also eine Art Handlungsanweisung. Der Prompt wird als Befehl für die KI formuliert, mit dem ein gewünschtes Ergebnis erzielt werden soll. Je sorgfältiger und genauer er erstellt wird, um zu größer die Erfolgsaussichten „Dann sehen die Beschäftigten, was möglich ist.“ Müller lacht: „Und das Weiße-Blatt-Syndrom bleibt aus.“ Will meinen: Fragezeichen, Zweifel und Ängste schwinden.

Luiciano Radicce, der IT-Experte, Programmierer und Nerd, hat zum Beispiel ein Tool entwickelt, wie Anwendungsfälle in einem Unternehmen nach Aufwand und Nutzen wertfrei analysiert und kategorisiert werden können, was eine relativ objektive Auswahl erfolgversprechender Use Cases ermögliche. Und es lasse sich vermeiden, dass Anwendungen verfolgt werden, weil sie der Chef vorgeschlagen hat oder weil jemand eine Idee gut verkauft hat, ohne die Substanz zu prüfen. Dieses Tool kann breit für viele Fälle genutzt werden. „Wir tun uns damit leichter, weil wir neutral, nicht unmittelbar in die Organisation eingebunden sind und eine für die Objektivität notwendige Distanz wahren“, sagt Müller.

„Reiner Zufall“ ist es gewesen, dass sich die beiden Gründer gefunden haben. Der Argentinier Radicce lebt seit 2019 in München und hat eine ziemlich lange Reise hinter sich, die ihn nach Berlin, auf Bali, nach Rom und schließlich in die bayerische Landeshauptstadt führte. Seit jeher hat ihn Software, Programmierung und KI fasziniert, schon in der Schule und noch mehr zu Zeiten seines Studiums des IT-Engineering in Buenos Aires. Mit 16 Jahren, als er auf einer auf IT spezialisierten Schule war, ist er zum Programmier-Experten geworden und hat sich mit 23 Jahren als Unternehmensberater im Tech-Bereich betätigt.

Im Münchner „Werk 1" gefunden - und gegründet

Im Februar 2023, Mitten im ChatGPT-Hype, gründete er allein seine Strategieberatung Lazy Consulting. Er suchte nicht aktiv und gezielt nach einem Co-Gründer, sondern nach Hilfestellung - in Münchens Gründerschmelztiegel Werk 1, wo digitale Start-ups ihre Geschäftsprozesse ausbrüten. Erfahrung mit KI hat der Nerd reichlich, aber die richtige Strategie für die marktfähige Umsetzung von Lazy? Da hat Berater Radicce nach Rat gesucht - und ihn bei Heiko Müller gefunden, den er im Werk 1 kennengelernt hat.

Heiko Müller ist zu der Zeit bereits fast fünf Jahre Unternehmensberater mit seiner 2018 gegründeten, auf Change Management spezialisierten Conugere gewesen, die mittelständische Unternehmen in deren notwendig gewordenen Transformationen (Nachfolge, Digitalisierung) begleitet. Es begab sich, dass ihn das alte Netzwerk immer wieder ins Werk 1 gezogen hat, da dort das InsureTech Hub angesiedelt ist, ein Start-up-Accelerator für den Versicherungsbereich des Freistaates Bayern, der Stadt München und von zwölf Versicherern; unter anderem auch der Allianz.

Allianz-Haudegen in der neuen KI-Welt

Müller war rund 15 Jahre bei dem Versicherungskonzern tätig gewesen, zunächst im Vertrieb, dann fast 13 Jahre bei dem Finanzarm Allianz Global Investors mit Aufenthalten unter anderem in London und New York. Müller gehört aufgrund dieser langjährigen Beziehungen zu einer Gruppe von Mentoren und Sparringspartnern im Werk 1. In diesem Pool hat Luciano Radicce ihn schließlich gefunden. „Zu der Zeit hatte ich mit KI nur am Rande zu tun“, erinnert sich der ältere Gründer-Partner, der merkte, dass KI in Transformationsprozessen nicht mehr wegzudenken ist.

Der Argentinier rief an: Er wolle was mit KI machen, sagte der. Er suche nach Ideen, wie man seine Lazy Consulting strategisch und organisatorisch voranbringen könne. Während der zahlreichen Gespräche sei, so Müller, der Mindset gewachsen, dass dieses hochkomplexe Thema eine ganzheitliche Herangehensweise erfordere. Vertrauen und Sympathie wuchsen. Die Erkenntnis reifte: „Hey, da kann man etwas draus machen, zusammen können wir viel erreichen“, sagt Müller. Im Juni 2023 stieg er bei Lazy ein.

Und Luciano Radicce ist so in München sesshaft geworden. Im Jahr 2013 kam er von Buenos Aires zum ersten Mal für zwei Jahre nach Berlin, wo es im Gegensatz zu Buenos Aires inmitten der digitalen Goldgräberstimmung ein Ökosystem gegeben hat und er ein Start-up gründete, mit dem er Websites sowie Apps en masse für Kunden baute. Immer musste er hin- und herfliegen, weil er nur eine begrenzte, dreimonatgige Aufenthaltsgenehmigung hatte. Aus einem mehrwöchigen Besuch auf Bali, einem Treffpunkt „digitaler Nomaden“, wurde am Ende ein zweijähriger Aufenthalt. Radicce, in dritter Generation Italiener ohne Italienisch-Kenntnisse, war danach zwei Jahre in Italien, reiste aus privaten Gründen zwischen Rom und München hin und her, lernte die Sprache und erhielt schließlich die italienische Staatsbürgerschaft.

Zunächst habe man daran gedacht, mit Lazy Workshops und Seminare anzubieten, um an KI heranzuführen. Doch die Erkenntnis eines ganzheitlichen Ansatzes mit Beratung von oben nach unten und von unten nach oben - Bottom up, Top down - habe neue Perspektiven eröffnet: nicht nur mit der Unternehmensleitung reden, sondern gleich die Beschäftigten voll einbeziehen. Denn: „Mitarbeiter können mitunter besser mit KI umgehen als übergeordnete Führungskräfte, weil sie unmittelbarer operativ an den Prozessen beteiligt sind“, räumt Müller mit einer Mär auf. Deshalb ist das ist für ihn wesentlicher Bestandteil, Künstliche Intelligenz zu „demokratisieren“.

https://www.lazyconsulting.com/

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