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02 May
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Künstliche Intelligenz ist ein Hype. Aber immer noch scheuen viele den Umgang damit, als handele es sich um ein mysteriöses schwarzes Loch - besonders wenn es um die generative KI geht, die selbständig Inhalte generiert. Maximilian Hentschel und Alexander Schindler haben sich mit WaveSix vorgenommen, Unsicherheiten und Vorbehalte zu nehmen, vor allem mittelständischen Unternehmen den Einsatz schnell wie einfach mit großen Einsparpotentialen zu ermöglichen. Das erst Ende 2024 gegründete Start-up erlebt derzeit eine enorme Dynamik. Es ist nicht die Beratung, die WaveSix besonders macht: Vielmehr werden gemeinsam mit dem Kunden spezifische KI-Produkte für deren Anwendungen entwickelt und danach bei Erfolg auch auf den Markt gebracht. So entstehen KI-Bausteine, die je nach Bedarf zusammengesteckt werden können - wie in einer Boutique.

2. Mai 2025 - Von Rüdiger Köhn, München

Zweieinhalb Jahre haben Maximilian Hentschel und Alexander Schindler in einer Blase gelebt. Als Digital- und KI-Experten tobten sie sich im Hamburger Maschinen- und Anlagenbaukonzern Körber in der Entwicklung von Anwendungen für generative Künstliche Intelligenz (Generative Artificial Intelligence - GenAI) aus; jene besondere und weiterentwickelte Form von KI, die nicht nur Daten analysiert und klassifiziert, sondern auch eigenständig Inhalte erzeugt. Schindler und Hentschel arbeiteten mit vielen Kompetenzen ausgestattet ganz freizügig in der Zukunftssparte Körber Digital. Sie experimentierten, hatten dabei die volle Rückendeckung des Vorstands und sehr schnell die ersten Erfolgserlebnisse, konnten die Vorteile des Einsatzes von GenAI in internen Prozessen mit hohen Produktivitätszuwächsen und klarem Mehrwert belegen.

Raus aus der Bubble

Ein Schlüsselerlebnis hat zur Gründung von WaveSix beigetragen. „Wir hatten einen interessanten Moment“, grinst Alexander Schindler, 31 Jahre. Er und Maximilian Hentschel, 33 Jahre, traten noch vor Gründung als GenAI-Experten auf einer Management-Konferenz mit ranghoher Besetzung aus 50 bis 60 großen deutschen Konzernen auf, um über die Transformation zu sprechen, die KI bewirken kann. „Voller Vorfreude sind wir da reingegangen“, erinnert sich Schindler, hofften sie doch auf ein Publikum, das aufgeschlossen gegenüber einer Technologie mit so vielen Möglichkeiten und Chancen ist. 

„Dann ist unsere Blase geplatzt.“


                                                            Alexander Schindler                                              Fotos WaveSix

Bei Körber hätten beide in einer wohltuenden „Bubble“ gelebt, wo sie erfolgreich das umsetzen konnten ,was ihnen vorschwebte. Doch mussten sie nun voller Ernüchterung erkennen, dass „draußen“ große Vorbehalte bestehen. Viele Unternehmen hätten Angst; weniger vor der KI-Technologie selbst als vielmehr vor der Umsetzung, der Durchsetzung gegenüber Mitarbeitern, den Betriebsräten oder vor den vermeintlichen Hürden bei der Realisierung in der IT.

Bedenken, Bedenken, Bedenken.

„Das erste, was uns aufgefallen ist: Künstliche Intelligenz wird von der großen Masse gar nicht richtig verstanden.“ Es klingt im Gespräch mit Hentschel und Schindler fast schon wie ein Schockmoment heraus, den sie während ihres Auftritts erlebten. Sie mussten anschauen, mit welcher Naivität mitunter deutsche Unternehmen - ob klein, mittel oder groß - auf die neuen Herausforderungen blicken. Dabei haben die Gründer konkrete positive Anwendungsbeispiele präsentiert, im Maschinenbau etwa. Dort oder auch im Finanzwesen und in der Energiewirtschaft wurden jedoch Vorbehalte laut, dass KI das doch gar nicht könne. „Dabei haben wir das bei Körber gebaut und erfolgreich umgesetzt“, sagt Schindler. Es gebe riesige Missverständnisse, wozu die Technologie heute imstande sei und wozu nicht. „Unternehmen fällt es immer noch schwer, Künstliche Intelligenz im Kontext zu sehen.“

                                                           Maximilian Hentschel

„Das ist der letzte Schubser für uns gewesen, das Thema GenAI über Körber hinaus anzupacken“, erinnern sich die Co-Gründer. WaveSix ist erst  im Dezember 2024 gestartet - also vor nicht einmal einem halben Jahr. Es ist nicht einfach nur ein weiterer KI-Berater im klassischen Sinne, sondern entwickelt konkrete Anwendungen und Problemlösungen etwa für einen Industriekunden.

Robin Rohrmann und Peter Henssen haben sich Hentschel und Schindler angeschlossen; beide kennen sich in der Start-up-Szene als Seriengründer gut aus und haben WaveSix einen wichtigen Drall gegeben, wodurch das Konzept erst recht seine Einmaligkeit erhalten hat. Sie überzeugten die beiden Gründer, wegen des enormen Potentials größer zu denken. Weit über eine KI-Beratung und Problembewältigung im Einzelfall hinaus sollten sie KI-Produkte für den Markt entwickeln, meinten Rohrmann und Henssen, die dabei unbedingt mitmachen wollten.

Bedarf an GenAI-Entwicklungshilfe

„Unsere Hypothese geht gerade voll auf“, sagt Maximilian Hentschel. Die da lautet: Es gibt einen enormen Bedarf an Entwicklungshilfe in Sachen GenAI. Schon nach drei, vier Monaten arbeiteten sie profitabel und generierten wichtigen Cashflow für den Aufbau. „Wir sind um einiges weiter, als wir es anfangs für möglich gehalten haben.“

So dynamisch generative Künstliche Intelligenz seit dem ChatGPT-Hype neue Dimensionen erreicht hat, so rasant hat sich WaveSix in nur wenigen Monaten aus den Startlöchern katapultiert. Hentschel und Schindler bezeichnen ihr Start-up als „KI-Boutique“ oder als „KI-Produkt-Studio“. „Wir sind keine klassische Agentur, die Projekte abliefert und sich nach Abschluss des Arbeitsauftrags verabschiedet und den Kunden alleine lässt, der aufwendig ein eigenes Team zur Umsetzung aufbauen muss“, sagt Alexander Schindler.

Beraten, Entwickeln, Launchen

Ihr Fokus liegt auf mittelständischen Unternehmen:

- WaveSix berät Kunden nicht nur in Sachen Künstliche Intelligenz und führt sie an die Technologie heran.

- Gemeinsam werden mit ihnen zugeschnittene KI-Produkte entwickelt; Anwendungsfälle, die vor allem interne Prozesse verbessern sollen. 

- Die werden als Prototyp zunächst „vertestet“, dann konkret in die Praxis umgesetzt.

- WaveSix betreut Kunden während der gesamten Anwendung und übernimmt die Aufgabe, dieses Software-Produkt auch zu kommerzialisieren, sollte es extern auf Interesse stoßen und sich ein Marktpotential erschließen, kümmert sich um den Launch und die Marktbearbeitung.

Die Impulse für den Bau von KI-Anwendungen kommen immer vom Kunden. Nachdem eine Software-Lösung für ein Prozessproblem gemeinsam entwickelt worden ist, kommt der Punkt, an dem es im Alltag eingesetzt und betrieben werden muss. Die Experten dafür hat allerdings der Auftraggeber in der Regel nicht. Das übernimmt WaveSix. Dabei kann der Kunde über das gemeinsam gebaute Produkt verfügen oder überlässt es WaveSix, die es über ein SaaS-Modell (Software-as-a-Service) als Abo gegen Gebühr betreibt.

                                                           Peter Henssen

Beispiel: Flugzeugwartung, genannt MRO (Maintenance, Repair and Operations). Mit einem asiatischen Unternehmen hat WaveSix eine Lösung entwickelt, um die Wartung von Flugzeugen zu beschleunigen, indem KI umfangreiche Dokumente wie Betriebsanleitungen, technische Merkblätter oder Prüfberichte auswertet und in die Wartungsarbeiten integriert. Dadurch werden diese deutlich schneller und effektiver, was die teuren Stillstandzeiten verkürzt. Die Herausforderung liege hier vor allem in der Entwicklung einer KI, die zu einhundert Prozent zuverlässig sein müsse und nicht „halluziniere“, wie Schindler sagt. Es gibt kaum einen Bereich, in dem Qualitätsstandards so hoch sind wie in der Luftfahrt. Nicht den kleinsten Fehler darf es geben.

Flugzeuge, Maschinen, Autos, Waschmaschinen

Nicht nur Flugzeuge müssen gewartet oder repariert werden, sondern auch Maschinen und Anlagen in Fabriken, Autos, Waschmaschinen etc. „So ist die Entwicklung dieses Produktes zugleich das Einfallstor in andere Unternehmen.“ Das, was im Bereich MRO entwickelt worden ist, ist die Basis für einen „KI-Tagstack“, ein KI-Baustein. Der kann für andere spezifische Anwendungsfälle nach dem ähnlichen Prinzip als Derivat abgeleitet werden. Es entsteht eine Produkt-Gruppe. Die Entwicklung für  MRO ist somit Basis für das WaveSix-Angebot „Sonance“ geworden, das zu mindestens 20 Prozent kürzeren Stillstandzeiten bei Flugzeugen und Hubschraubern führen soll.

„HiveWorks“ ermöglicht durch Automatisierung in Recherche (Research), Strategie- und Szenarioplanung schnellere und deutlich kostengünstigere KI-gestütze Entscheidungen, die qualitativ bessere Ergebnisse bringen sollen. „Callscribe“ begleitet einen Service-Techniker im Außendienst interaktiv bei der Fehlerdiagnose und der Reparatur, unterstützt sprachgesteuert über einen Fragen-Antwort-Dialog bei dem Erstellen von Kundenberichten, kann so bei Diagnosen, Reparaturen und Dokumentationen um rund 50 Prozent Zeitersparnis bringen. Und es gebe schließlich nicht nur den Staubsauger-Vertreter, der über das Land fahre, sondern viele Hunderte andere Anwendungsfälle, in denen KI-generierte Gespräche hilfreich sein können, sagt Schindler. Ziel müsse mit der WaveSix-Methode sein, eine um mindestens 30 Prozent verbesserte Produktivität zu erzielen, ergänzt Hentschel. In der Textverarbeitung könne man sehr leicht doppelt so schnell werden.

Die entwickelten KI-Techstacks oder Bausteine ersparen den Kunden teure und langwierige IT-Beratungen und können Lösungen schnell umsetzen. Was sonst zwölf oder 18 Monate dauere, würde so in sechs bis acht Wochen umgesetzt werden und bringe  schnell ein „Proof of Concept“, mehr noch ein „Proof of Value“ - also einen wertschaffenden Vorteil, sagt Max Hentschel.

                                                           Robin Rohrmann

So ist ein Kasten mit Bausteinen entstanden, zu denen die Verarbeitung von Text und Sprache, die Umwandlung von Sprache in Text und umgekehrt gehören. Diese Techstacks werden für die spezifischen Bedürfnisse des Kunden passend zusammengesteckt.

Maschinenbau, Finanzen, Immobilien, Konsumgüter

Bedingt durch die Arbeit bei Körber, visieren die Gründer zunächst den Maschinenbau an. Genauso Anwendung kann es aber bei Banken und Versicherungen (Rückversicherungen) finden, die schon Interesse zeigen; oder im Immobilienmanagement und bei Herstellern schnelldrehender Konsumgüter (Fast Moving Consumer Goods) wie Fleisch, Backwaren, Früchte, Gemüse oder Molkereipodukte. Der große Teil der KI-Anwendungen bezieht sich auf unternehmensinterne Prozesse, nicht unbedingt auf Generierung neuer Strategien oder Geschäftsmodelle für extremen Angebote. Jedes Unternehmen habe ein Rechnungswesen, eine Personalabteilung, Vertrieb oder Marketing. Aktuell hat WaveSix bereits vier Kunden aus unterschiedlichen Branchen, akquiriert aus dem in den vergangenen Jahren aufgebauten umfangreichen Netzwerk.

„Wenn wir etwas gründen, dann jetzt.“ Emphatisch ruft Co-Gründer Hentschel das aus. Etwas eigenes aufbauen, wollten beide schon lange. „Es ist genau die richtige Zeit und auch dringend nötig, AI sowie GenAI in Deutschland verstärkt in den Markt zu bringen.“ Der Wettbewerbsdruck aus dem Ausland sei hoch. Nur wenige könnten Unternehmen helfen, KI-Produkte und -Anwendungen richtig umzusetzen. Klar, es gebe viele  Berater, bei denen es dann aber an der nutzerorientierten Umsetzung entworfener Strategien hapere.

KI immer ein Thema

KI ist für Hentschel und Schindler seit jeher ein Thema gewesen. Über den Weg gelaufen sind sich beide bei der Körber-Tochtergesellschaft Körber Digital, wo sie fast zur selben Zeit im Mai 2022 angefangen haben, um Digitalisierungs- und GenAI-Projekte in Angriff zu nehmen. Eigentlich sollte es darum gehen, neue digitale Geschäftsmodelle zu entwerfen und diese auf den Markt zu bringen. Sie schufen das Center of Excellence für GenAI, befassten sich mit Sprachmodellen und nutzten den beginnenden Hype um ChatGPT, bauten in wenigen Wochen erste konkrete Anwendungsmodelle, die zügig realisiert werden konnten, im Körber-Konzern realisiert wurden und gut ankamen. Die brachten über höhere Produktivität und verbesserter Effizienz einen Mehrwert, allerdings in erster Linie für den internen Gebrauch.

Der Wirtschaftsingenieur und Volkswirt Maximilian Hentschel betrachtet sich im Grunde nicht als Nerd. Doch ist er immer technik-affin gewesen und hat eine Leidenschaft für neue Technologien entwickelt. Er hat sich das Programmieren selbst beigebracht. Seine Masterarbeit hat er - der Volkswirt - zum Thema Blockchain in der Finanzindustrie geschrieben. So wurde er Strategieberater unter anderem in Sachen Blockchain-Technologien.

Ideale Ergänzung

Alexander Schindler hat am Globe Business College Munich den Bachelor in Business Studies gemacht und sich danach im Ausland im International Business und in Business Strategies weitergebildet wie auch mit disruptiven Innovationen beschäftigt. Er hat sich in verschiedenen Funktionen als Berater auf Venture Building, also Unternehmensgründungen und Entwicklungen von Geschäftsstrategien, konzentriert, bevor er bei Körber anfing.

„Wir funktionieren so gut zusammen, weil wir uns ideal ergänzen“, sagt Schindler. Max habe sich ein tiefes technisches Verständnis mit entsprechender Kompetenz auch eines Chief Technology Officers angeeignet. Er, Alex, sei jemand, der Technologie „ziemlich gut“ in ein Geschäftsmodell umsetzen könne. Er lacht: „Obwohl ich ja eigentlich die mathematischen Modelle dahinter bis ins Detail erklären kann“. Aber: „Durch Max ist mir schnell klar geworden, dass etwa mit den Sprachmodellen der große Mehrwert vor allem bei internen Prozessen erzielt werden kann, dass der Fokus weg von der klassischen KI hin zu GenAI vor allem zunächst intern sinnvoller ist, als neue Geschäftsmodelle auszurollen.“ All das haben sie in den zweieinhalb Jahren Arbeit bei Körber Digital an Erfahrungen mitgenommen.

Monatelang beschäftigte sie der Gedanke, über den damaligen Arbeitgeber hinaus zu wirken; nicht zuletzt angetrieben durch den „Schockmoment“ auf der Konferenz mit großen Konzernen. Auf einer Dienstreise nach Dallas saßen sie eines Abends in der Lobby des Flughafen-Hotels. Sie verdienten gut, hatten ihre Freiheiten, genossen hohes Ansehen. Und doch haben sie sich an jenem Abend in die Augen geschaut und die Entscheidung getroffen, WaveSix zu gründen. „Wir sind bei Körber weggegangen, als es am schönsten war“, sagt Schindler. „Aber die Türen haben weit offen gestanden, wir haben so viele Möglichkeiten gesehen.“

                                   Die Vier von WaveSix: Schindler, Henssen, Rohrmann, Hentschel (v.l.)

Peter Henssen und Robin Rohrmann kamen im Laufe des zweiten Halbjahres 2024 dazu. Man kannte sich aus dem Netzwerk. Ihre Stärken liegen darin, nach dem erfolgreichen Test eines KI-Produktes und der Anwendung beim Erstkunden dieses für WaveSix marktfähig zu machen und breiter anzubieten. Beide sind Seriengründer, die sich in der Gründerszene - digital und non-digital - bestens auskennen,  Unternehmen gegründet, dann wieder verkauft haben; zum Beispiel Pacemaker Digital Ventures. Rohrmann betreibt parallel noch andere Engagements wie mit PEAK Impact Ventures.

Die Fünfte im Bunde

Und dann gibt es da noch eine Fünfte im Bunde von WaveSix: KI. „Sonst könnten wir WaveSix mit vier Leuten nicht bewerkstelligen“, sagt Hentschel. Sie haben KI-Assistenten für eigene Zwecke gebaut, damit sie entlastet werden. Anwendungsfälle, GenAI-Modelle und KI-Produkte  nach WaveSix-Manier kann Künstliche Intelligenz für sie allerdings nicht entwickeln. Da komme nie etwas Gutes heraus, blockt Alexander Schindler ab und lächelt. „Unser Geschäft funktioniert erst, wenn wir das Problem verstehen.“ Dazu müsse man mit den Menschen zusammen im Raum sitzen, darüber reden, sich in die Augen schauen und gemeinsam versuchen, eine Lösung zu entwickeln. „Da ist der Mensch extrem gefragt.“

https://www.wavesix.ai/de

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