7 Minuten Lesezeit
13 Nov
13Nov

Thomas Maier und Lukas Kamm haben ein Sensorsystem für Bäume entwickelt, da war noch nicht die Rede von überhitzten Städten. Das hat sich geändert: Im Kampf gegen die Hitze planen immer mehr Städte den Auf- und Ausbau schattiger, grüner Oasen. Die Umweltsensorik von Agvolution erfasst Bodenfeuchtigkeit und -temperatur um Bäume herum und schlägt bei akuter Trockenheit Alarm. Das digitale Baummanagement verhindert deren Absterben und unterstützt die Maßnahmen zur Begrünung; nebenbei schont es durch effektives, gezieltes Bewässern die klammen Stadtbudgets. Die Landwirtschaft profitiert genauso von den Bodensensoren, da sie den Einsatz von Dünger verringern. 

München, 13. November 2023 - Von Rüdiger Köhn

Thomas Maier und Lukas Kamm sind alles andere Propheten gewesen, als sie im März 2020 Agvolution gegründet haben; ein Start-Up für Umweltsensorik. Schon zu Schulzeiten entwickelten sie jedoch ein Gespür für Folgen des Klimawandels. Ihre Idee einer vernetzten Baumbestandsanalyse ist vor zehn Jahren geboren - als noch nicht die Rede von der Überhitzung in zubetonierten und zuasphaltierten Innenstädten war. Spätestens seit diesem Sommer dürfte vielen die Notwendigkeit einer verstärkten Begrünung in bodenversiegelte Ballungszentren klar geworden sein. Allenthalben ist das Verlangen nach einem erträglicheren Mikroklima laut geworden, weshalb immer mehr Städte aufforsten.

Agvolution kann mit der von Maier und Kamm entwickelten Technologie dazu beitragen, Trockenstress und Absterben von Bäumen zu vermeiden, die Effektivität einer zu beschleunigenden Anpflanzung zu erhöhen, das Baummanagement zu optimieren und die zwangsläufig damit verbundenen steigenden Kosten im Zaum zu halten. „Das ist einfach nur ein riesiger Zufall, dass wir jetzt mit unserer Sensoriklösung kommen“, sagt Mitgründer Maier, 27 Jahre.

                                                       Thomas Maier                         Fotos Agvolution/ Titel: BUND

Zur rechten Zeit beginnt das von den beiden Absolventen der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen gegründete Unternehmen mit der Kommerzphase - und trifft damit einen Nerv der Zeit. Das Gründer-Team ist mittlerweile auf fünf Mitglieder gewachsen: Mit dem ehemaligen BASF-Manager Andreas Heckmann, 35 Jahre, als Geschäftsführer sowie Munir Hoffmann und Sebastian Jerratsch, beide Absolventen der Uni Göttingen, haben sich Experten aus Elektrotechnik, Physik, Informatik, Agrarwirtschaft und -wissenschaft gefunden. 

Agvolution hat eine Technologie entwickelt, die den Zustand von Bäumen in Echtzeit misst, analysiert, daraus Prognosen ableitet und Handlungsempfehlungen für das Bewässern gibt, um das Austrocknen frühzeitig zu erkennen und ein Absterben zu verhindern. Bedeutender als die Hardware ist die Software im Hintergrund, die mit Einsatz künstlicher Intelligenz zu ergreifende Maßnahmen vorschlägt und voraussagt. Das System wird ebenso in der Landwirtschaft genutzt.

Gezieltes Bewässern statt Gießkanne

Etwa 50 Zentimeter lang ist der Stab, der neben einem Baum in den Boden eingegraben wird. Die mit Solarzellen versehene Übertragungseinheit im Durchmesser von 25 Zentimeter schaut als flache Scheibe aus dem Boden. In ihr sitzt die Messeinrichtung sowie das Kommunikationstool, das die Daten von Bodenfeuchtigkeit und Bodentemperatur aus drei verschiedenen Tiefen über Mobilfunk in Echtzeit übermittelt. Dies sind die entscheidenden Parameter, um das Wohlbefinden eines Baumes, besonders das eines neu gepflanzten, zu bestimmen. Bei Trockenstress-Alarm werden Gartenbauämter informiert, die dann die Bewässerung veranlassen; und zwar punktuell, nicht nach dem Gießkannenprinzip, bei dem Bewässerungsfahrzeuge ganze Straßenzüge überschwemmen und das Wasser nicht selten im Gulli verschwindet.

Die Stadt München hat im vergangenen Jahr 2700 neue Bäume gepflanzt. Die Zahl von Neupflanzungen will sie noch deutlich erhöhen. Damit kompensiert sie nicht nur den verloren gegangenen Baumbestand (durch Absterben oder Fällen), sie will im Kampf gegen die Überhitzung auch die Begrünung ausweiten. Unsicher ist jedoch, wie viele der Jungbäume überleben. Denn das Ausfallrisiko erreicht Größenordnungen von immerhin einem Drittel; potentiell sind in den nächsten Jahren also rund 900 der 2022 gepflanzten Jungbäume in der bayerischen Landeshauptstadt gefährdet. Das ist nicht nur tragisch für die Pflanzen, sondern kommt die Stadt teuer zu stehen: je nach Art kann ein Baum zwischen 2000 und 6000 Euro kosten. Hinzukommt die Unterhaltung; mindestens zweimal im Jahr muss er gepflegt werden, und das über fünf bis zehn Jahre.

Mit einem gezielten und dosierten Vorgehen durch das Sensorsystem erfolgt die Baumpflege mit Wasser ressourcenschonend. Eine App zeigt auf Grafiken und Karten den aktuellen Zustand der Bäume. „Agvolution unterscheidet sich von anderen Systemen, weil es nicht nur visuell den Zustand beschreibt, sondern auch den Bedarf prognostiziert, verbunden mit konkreten Handlungsempfehlungen; wir geben den Gartenbauämtern konkrete, optimierte Routen an die Hand, um effektiv zu bewässern“, sagt Maier. Laufend werde darüber informiert, welcher Baum wann wieviel Wasser benötige. Das Gerät lässt sich über Schnittstellen durch externe Sensorik zu einer kompletten Wetterstation erweitern. Damit sind neben Bodenfeuchtigkeit und -temperatur ebenso Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck, Windrichtung sowie -geschwindigkeit oder Niederschlagsmenge zu messen.

In der Praxis setzt das Start-Up sein Modell in der Stadt Erlangen ein, die jährlich rund eine halbe Million Euro für die Baumpflege aufwendet. Dort werden zurzeit rund 1500 Jungbäume kontrolliert, die in Baumgruppen an verschiedenen Standorten gepflanzt worden sind. Für diese Gruppen reicht jeweils das Vergraben eines Sensors. Neben 70 Bodensenoren sind auch 16 Wetterstationen im Einsatz. In der geschilderten Kalkulation rechnet Maier äußerst konservativ, indem er nur einen Wert von 500 Euro je Baum zugrundegelegt, womit sich der Bestandswert der Jungbäume auf 700.000 Euro summiert. In den zurückliegenden zwei Saisons - das ist die wichtigste Erkenntnis - hat sich durch das Messsystem das Ausfallrisiko um zwei Drittel verringert: Statt 30 Bäume vertrockneten im konkreten Fall in Erlangen in den zwei Saisons nur noch zehn. Damit sind Kosten für verloren gegangene Pflanzen von 10.000 Euro pro Saison vermieden worden. Hinzu kommt die Wasserersparnis aufgrund reduzierter Gießgaben von 3000 Euro, zusätzlich geringere Kosten für Personal und weniger, routenoptimierter Anfahrten.

                                        Zur kompletten Wetterstation erweitert

Die Gesamtersparnis je Saison beläuft sich in dieser Kalkulation (wohlgemerkt auf Basis eines niedrigen Baumwertes) von 20.000 Euro. Dem stehen in dem Probelauf Investitionen für die Geräte von knapp 70.000 Euro, einschließlich Installation 80.000 Euro, gegenüber. „Bei den angenommenen Ersparnissen hat sich die Investition somit nach vier Saisons amortisiert“, sagt Maier. „Legt man einen realistischeren Baumwert von 2000 Euro zugrunde, rechnet sich das schon wesentlich schneller.“ Unter dem Strich schätzt Maier die Gesamtersparnisse durch das System für eine Stadt auf etwa zehn Prozent. Dies wird vor dem Hintergrund „explodierender Kosten für die Baumpflege“ (Maier) um so wichtiger. Früher habe die Stadt vielleicht einen Baumpfleger angestellt; heute seien es in Erlangen drei, plus einer Flotte von insgesamt vier Gießfahrzeugen, die 100 Tage im Jahr ausrücken müssten.

Einsatz auf dem Acker  

Neben der Stadtbegrünung haben die Gründer die Landwirtschaft als weiteres Einsatzgebiet ausgemacht und nehmen die Nischen Baumschulen, Golf- und Zooanlagen wegen der ähnlichen Anwendungen gleich mit. Im Agrarsektor sind die Herausforderungen mit dem Optimieren von Ernteerträgen, den schonenden, effizienten Einsätzen von Düngemitteln, nachhaltigem Ackerbau und dem leidigen Verklappen von Gülle im Boden nicht minder groß. Auch hier spielen Bodenfeuchtigkeit und -temperatur als Parameter eine große Rolle, um dank vordringender Digitalisierung auf dem Acker (Smart Farming) den Einsatz von Dünger optimiert einzusetzen.

Die Sensoren werden nicht flächendeckend über die Felder verteilt, sondern an Stellen, wo der Ernteertrag geringer ausfällt. „Ziel des Landwirtes muss es ja sein, gleichmäßig über die gesamte Ackerfläche gute Erträge einzufahren“, sagt Maier. Der Landwirt weiß heutzutage, wie hoch die Erträge je Hektar sind, da die Erntemaschine diese - kombiniert mit GPS-Daten - genau erfassen kann. Sie werden kartiert und geben einen Überblick. Das System von Agvolution kommt ins Spiel, wenn es um die Bestimmung der optimalen Düngemenge und den richtigen Zeitpunkt geht, der Erde Stickstoff oder Wasser zuzufügen; verbunden mit konkreten Mengenangaben. Auch hier gilt das Prinzip: gezieltes, dosiertes Ausbringen an Stellen, wo es nötig ist. Neben der kostensenkenden Effizienz trägt die Transparenz dazu bei, weniger Gülle im Boden zu versenken und so die EU-Düngemittelverordnung einzuhalten. 

Der 27 Jahre alte Thomas Maier und der 25 Jahre alte Lukas Kamm, seit der 8. Klasse auf dem Gymnasium in einem „kleinen Kaff“ nahe Nürnberg eng befreundet, hatten die glühenden Innenstädte noch gar nicht im Sinn, als sie ihrem Forscherdrang folgten. Das Duo hatte mit etlichen Ideen gleich sechs Mal am Wettbewerb „Jugend forscht“ teilgenommen. Zuerst entwarfen sie ein Solar-Kraftwerk, das mit Spiegeln arbeitete. Es folgte die Konstruktion einer Fünf-Achs-CNC-Fräse. Ihrem letzten Projekt widmeten sie sich dann ganz der Bodenfeuchtigkeit.

                                                       Lukas Kamm

Umwelt war ihr Thema. Schon früh befassten sie sich mit der Frage, wie man schonender mit der Ressource Wasser umgehen kann. Am Bundeswettbewerb „Jugend forscht“ haben sie teilgenommen, ohne Sieg. Aber in zwei Landeswettbewerben holten sie die ersten Plätze.

Maier und Kamm entschieden sich für „ein normales Leben“ und gingen an die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), wo der eine (Maier) Elektrotechnik, der andere (Kamm) Physik studierte. Doch Tüftlerdrang und ihr Sensor-Projekt ließen sie nicht los. Sie traten weiterhin bei Wettbewerben auf, gewannen etwa in Amsterdam eine internationale Nachhaltigskeitsolympiade. In der „Nacht der Wissenschaft“, einer Veranstaltung der FAU, sprach sie ein Professor an, der einen Feuchtigkeitssensor für ein Raumfahrtprojekt suchte, in dem es um das Züchten von Tomatenpflanzen in unterschiedlichen Gravitationsstadien ging. Das war 2015, als die im vierten Semester waren. „Irgendwie klingt das im Nachhinein absurd“, lacht Maier: Bodenfeuchtigkeit im Weltraum messen.

So aber kamen sie in das Sommercamp einer internationalen Luft- und Raumfahrtkonferenz - wo sie ebenfalls den ersten Preis holten. Mit dem Sieg war die Veröffentlichung ihres auf Papier gebrachten Konzeptes des Feuchtigkeitssensors verbunden, dessen Quintessenz sich schon Jahre zuvor in den ersten, bei „Jugend forscht“ gemachten Präsentationen fand. „Das war der Einstieg in Agvolution gewesen“, erinnert sich Maier.

                                                       Andreas Heckmann

Dieses „Researchpapier“ fand der heutige Geschäftsführer Andreas Heckmann, 35 Jahre, im Internet. Damals war er von Berufswegen mit dem Düngen in der Landwirtschaft und dessen Problemen beschäftigt - als Düngemittel- und Verkaufsberater im Chemiekonzerns BASF. Heckmann studierte Agrarwissenschaft an der Universität Göttingen und ist seit jeher Landwirtschaftsexperte. Er hat die Chance erkannt, wie die von den beiden Studenten entwickelten Sensoren eine Antwort auf das drängende Problem geben, den richtigen und optimalen Düngemitteleinsatz festzulegen. So kam 2017 der Kontakt zustande, verbunden mit dem Auftrag, doch mal bitte 5000 Sensoren an seine BASF-Adresse zu schicken. „Und wieder ist da gerade etwas passiert“, dachte sich das Erfinder-Duo. Es ging auf die Suche nach einem Hersteller, gründete zunächst eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) - und studierte weiter.

Aus drei macht fünf Gründer

In den Folgejahren testeten und tüftelten die Gründer weiter, entwickelten ein neues Design und professionalisierten das Produkt mit einer verbesserten Energieversorgung sowie Übertragungseinheit. Im März 2020 schließlich schufen sie die GmbH - dann zu dritt. „Ohne Andreas gäbe es Agvolution nicht“, konstatiert Maier. Er stieg schon 2019 ein und ist seit Gründung der Vorstandschef (CEO). Kurz nach dem Start bekam das Team Verstärkung, eingefädelt durch den „Göttinger" Heckmann. Sebastian Jerratsch, 27 Jahre, hat an der Uni Göttingen Informatik studiert; er ist zweiter Geschäftsführer und Chief Information Officer. Mit ihm kam zur selben Zeit Munir Hoffmann, 39 Jahre. Auch er studierte in Göttingen, allerdings Agrarwissenschaft. Als Doktor für Nutzpflanzenwissenschaft, damit als Wissenschaftler, ist er für den Bereich Forschung und Entwicklung zuständig. Jerratsch hatte bei Heckmann seine Bachelor geschrieben, wodurch der Kontakt zustandekam. Hoffmann und Heckmann kennen sich aus der wissenschaftlichen Arbeit an der Universität.

Nach drei Jahren ist es für Thomas Maier nun höchste Zeit, eine Seed-Finanzierung für den Start in die Kommerzialisierung anzustoßen, die Anfang nächsten Jahres kommen soll. „Wir haben gute Hardware-Verkäufe, müssen es aber schaffen, über die SaaS-Angebote wiederkehrende Einnahmen zu generieren.“ Rund 2500 Geräte hat Agvolution bislang zum Stückpreis von knapp 1000 Euro verkauft. Die Verkaufszahlen steigen rasant. Wichtiger sind langfristig die Umsätze aus dem Abo-Modell mit der App (Software-as-a-Service), die mit der Lieferung von Echtzeit-Daten zur Anschaffung gehört und derzeit 50 Euro im Monat kostet.

Kunden aus Ruanda und Saudi Arabien

Für ein nachhaltiges Geschäftsmodell müssten die Verkäufe der Messstäbe hoch. Maier spricht von 10.000 Stück. „Groß werden wir nur mit unseren Prognosen, Gießrouten und Empfehlungen für Stickstoff-Beigaben“, sagt er. Die Produktion werde nun professionalisiert und skaliert. Die gerade aktuell produzierten 200 Sensoren würden kein Lager sehen, gingen direkt zu den Käufern. Die bislang mehr als 130 Kunden kommen vor allem aus Deutschland, aber auch aus Österreich, der Schweiz, aus Polen, Griechenland, Kroatien, ja sogar aus Ruanda, dem australischen Tasmanien und aus Saudi-Arabien. Das Geschäft gewinnt immer mehr an Dynamik. 

Rechtzeitig zum Funding-Start kommt Schützenhilfe aus Hessen. Das Bundesland treibt die Digitalisierung in der Landwirtschaft voran und legt dafür ein Förderprogramm auf, um umweltschonender zu wirtschaften, die Ausgaben für Dünge- und Pflanzenschutzmittel zu reduzieren. Neu in diesem Programm ist die Anschaffung oder Entwicklung digitaler Technologien sowie Lösungen für Ressourcenschutz von Energie und Wasser. Gefördert wird auch der Erwerb von Agrarsoftware und den Einsatz von Sensor-Technologie zur Düngung. Für Thomas Maier kann es kaum mehr Bestätigung geben: „Agvolution erfüllt diese Anforderungen mit seinem CLIMAVI-Messsytem zu 100 Prozent.“ 

https://www.agvolution.com/

Kommentare
* Die E-Mail-Adresse wird nicht auf der Website veröffentlicht.