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20 Jan
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Maximilian Dekorsy und Henry Keppler haben in einer Serie-A-Finanzierung für ihr Mitte 2022 gegründetes Start-up ecoplanet 16 Millionen Euro eingesammelt. Die Genugtuung ist groß: Denn EQT Ventures - nach eigenen Angaben größter VC-Fonds für Frühphasen-Tech-Gründungen in Europa - hat sich bei den jungen Gründern engagiert, die sich in ihrer Geschäftsidee einer KI-Software-Plattform für das kaum noch zu bewältigende Energiemanagement bestätigt sehen. Unter den Investoren gibt es weitere bekannte Namen: Erstinvestor HV Capital ist ebenso dabei wie die Flixbus-Gründer und auch Manager-Haudegen Gerhard Cromme. Dekorsy und Keppler haben ein Konzept entwickelt, das mittelständischen Unternehmen hilft, Energiekosten deutlich zu senken. Es kann die Prozesssteuerung optimieren und Zeiten günstiger, aber ständig schwankender Strompreise nutzen. Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs sind die Volatilitäten extrem gestiegen. Besonders kleinere Firmen sind fast hilflos den - teils spekulativen - Launen des Marktes ausgeliefert. Mit der Serie-A können die Gründer die Wachstumsphase einläuten.

Von Rüdiger Köhn - München, 20. Januar 2025  


Festpreise für Strom, einmal im Jahr einen Stromliefervertrag auf Basis des Vorjahresverbrauchs abschließen? Die Zeiten sind vorbei, mit dem Vorstoß von Solar- und Wind-Strom, spätestens aber mit den heftigen Turbulenzen auf den Energiemärkten nach dem Überfall von Russland auf die Ukraine im Februar 2022. Seitdem spielen Strom- und Gaspreise verrückt, sind die Preisschwankungen an den Märkten erheblich. Die Volatilitäten in den vergangenen Monaten sind so extrem gewesen, hat es so viele negative Strompreise an den Strombörsen wie noch nie gegeben. Von 2 Cent je Kilowattstunde am Mittag springt der Spotpreis am Abend auch mal auf 16 Cent, wenn regenerativer Strom aus Sonne und Wind karg wird.

Unternehmen, für die Strom ein Kostenfaktor ist, leiden mit dem Ende von Festpreisen unter Dauerstress und müssen sich gegen zunehmende Unberechenbarkeiten wappnen, indem sie die Preis-Volatilitäten in ihrem Strombedarf berücksichtigen und die günstigen Zeitfenster für niedrige Tarife nutzen. Das sagten sich die beiden ehemaligen Unternehmensberater Maximilian Dekorsy, 32, und Henry Keppler, 33 - und gründeten in München Mitte 2022 die Softwareplattform ecoplanet.

Die erfasst detailliert alle Verbrauchsdaten eines Unternehmens, analysiert sie mit künstlicher Intelligenz, entwickelt daraus Projektionen für den künftigen Energiebedarf, übernimmt die notwendige Prozesssteuerung in der Produktion, schafft die Anbindungen zu den Netzanbietern und vermittelt passende Stromlieferverträge mit den Erzeugern, deren Tarife eine Kombination aus Termingeschäft und einer flexiblen Kurzfrist-Komponente auf Basis von Spotmarktpreisen sind.

                         Henry Keppler (links) und Maximilian Dekorsy                             Fotos Rüdiger Köhn      

„Unser Anspruch ist es, für Unternehmen alles in Sachen Energie abzudecken“, sagt Henry Keppler. Ergänzt Maximilian Dekorsy: „Wir sind die Software in der Mitte eines hochkomplexen Systems und arbeiten dabei mit allen Marktteilnehmern zusammen.“ Es geht um ein schwer zu durchschauendes Universum mit vielen unterschiedlichen Spielern, die die ecoplanet-Software durchdringen will. Der Energiemarkt ist allein mit Hunderten von Stromanbietern und fast 900 Netzbetreibern in Deutschland extrem fragmentiert. „Wir haben es geschafft, ein sehr komplexes Thema abzudecken, das wir dem Kunden nun einfach und verständlich darstellen können“, wirbt Dekorsy für das Angebot.

Ganzheitliches Tool gegen viele Risiken

Unternehmen eröffnet es die Chance, das unkalkulierbar gewordene Risiko schwankender, überbordender Energiepreise besser in den Griff zu bekommen - insbesondere Kosten zu sparen und die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Allen voran stehen Hersteller in energieintensiven Industriebranchen wie Glas, Stahl, Kunststoff, Papier, Schmieden, Schmelzen, ebenso Unternehmen mit vielen Standorten, Filialisten oder Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser.

Die Volatilität habe sich im Vergleich zur Zeit vor der Energiekrise 2022 und vor der verstärkten Umstellung auf erneuerbare um den Faktor sechs erhöht, sagt Keppler. „Jetzt kann es richtig wehtun, wenn man nicht handelt.“ Die Plattform solle Unternehmen Einsparungen von 20 bis 30 Prozent der Energiekosten ermöglichen, rechnet Maximilian Dekorsy konservativ vor. Der Ansatz ist umfassend und ganzheitlich mit vielen Stellschrauben: durch eine deutlich höhere Energieeffizienz aufgrund einer verbesserten Prozesssteuerung (circa 11 Prozent); durch günstige Beschaffung mit flexiblen Tarifen (rund 13 Prozent); durch ein spezielles Navigationstool, das als Energiemanager durch den Dickicht von Gesetzen und regulatorischen Vorschriften und zu allerdings schwer zu quantifizierenden Zeit- wie Kostenersparnissen führt.

„Orchestrierung von Produktionprozessen"

„Vor fünf Jahren haben wir über Festpreis-Verträge und Energieeffizienz nachgedacht“, beschreibt der für Vertrieb zuständige Dekorsy die Zeitenwende auf dem Strom- und Gasmarkt. „Heute rede ich mit den Kunden über eine Orchestrierung ganzer Produktionsprozesse und über die Flexibilisierung.“ Orchestrierung durch die Software-Plattform heißt etwa, den Stromverbrauch in der Produktion auf möglichst günstige Zeitfenster zu verlegen, wofür im Hintergrund umfassende Datenanalysen und daraus abgeleitete Geschäftsprozesse notwendig sind. Darauf basiert dann die Beschaffung, werden Abläufe strukturiert, ein Mix aus Termin- beziehungsweise Festpreisen und flexiblen Tarifen ermittelt.

Das Start-up selbst ist kein Händler und verkauft keinen Strom. Für Kunden kontrahiert es aber über fünf Partner Lieferverträge, die zu den zehn größten deutschen Energieversorgern gehören. Sie liefern den Strom. Namen wollen die Gründer nicht nennen, aus Wettbewerbsgründen. ecoplanet bewirtschaftet den Liefervertrag nur als Teil des ganzheitlichen Ansatzes.

ecoplanet adressiert mittelständische Unternehmen, die anders als große Konzerne größere Schwierigkeiten haben, gegenzusteuern. Es fasst deren Nachfrage zusammen. Bei einem relativ geringen Verbrauch von ein bis 20 Gigawattstunden können nämlich Flex-Modelle in deren Komplexität von den Stromversorgern nicht dargestellt werden. „Wir bündeln diese Gruppe, weil sie zu kleinteilig und zu beratungsintensiv ist“, sagt Keppler. Mittlerweile verwaltet das Start-up nach zwei Jahren für über 50 Kunden mit insgesamt mehr als 2000 Standorten einen jährlichen Stromverbrauch von mehr als 2 Terrawattstunden (TWh). Zum Vergleich: Große Stromversorger produzieren jährlich etwa 20 Terrawattstunden, Stadtwerke einer mittelgroßen Stadt zwischen 300 und 500 Gigawatt. ecoplanet betreut somit ein Volumen von drei bis fünf mittleren Stadtwerken.

Digitale Schnittstelle am Smartmeter reicht

Die ersten Schritte für den Eintritt in das ecoplanet-System erscheinen ziemlich simpel. Anders als im Privatkundenbereich sind im Gewerbe in der Regel intelligente Stromzähler installiert, die Daten erfassen und aus der Ferne zentral ausgelesen werden. Selbst bei dieser „oberflächlichen Messtechnik“, kann die Software durch einen einfachen Anschluss über eine digitale Schnittstelle innerhalb von ein oder zwei Tagen live geschaltet werden. Dann schon greift deren „Maschinerie“, werden historische Verbrauchsdaten erfasst und sofort analysiert, können erste Spareffekte und damit Mehrwert für den Kunden geschaffen werden, ohne dass neue Hardware installiert werden muss. Die KI erstellt Profile und kann später bei zusätzlich installierten Schnittstellen den Verbrauch einzelner Maschinen ermitteln, überwacht ihn und erkennt Anomalien, schlägt notfalls bei auffälligem Verbrauch Alarm.

                    Flixbus-Gründer: Daniel Krauss, André Schwämmlein und Jochen Engert      Foto Flix

Seit Juni vergangenen Jahres bietet ecoplanet den Energietarif mit seinen flexiblen Komponenten als kommerzielles, ausgereiftes Produkt in Zusammenarbeit mit Energieversorgern an. Doch schon im Janaur 2023 verkauften die Gründer eine erste, voll funktionierende Lösung für die Auswertung von Verbrauchsdaten. Sie saßen auf dem Sofa im Wohnzimmer von Henry Keppler, arbeiteten eine Telefonliste potentieller Kunden ab. „Wir machen das Energiemangement für Euch, wollt Ihr mitmachen, wir helfen Euch, Kosten einzusparen“, lautete ihr Werbespruch. Sie starteten mit vier Kunden. So einfach wie möglich kommunizieren, sei das A und O gewesen. „Wir haben von Anfang an gesehen, dass das Thema äußerst komplex ist und man den Unternehmen helfen muss“, sagt Dekorsy. Mit einer rudimentären Datensammlung über Verbräuche bauten sie aus Excell-Tabellen Effizienzmodelle.

Im Kampf gegen extreme Preisschwankungen

Mit Energiemanagement hat es begonnen. Anfang 2022 stand im Zentrum der Idee, den Anteil der Erneuerbaren bei Unternehmen über ihre Plattform zu erhöhen,um so deren Kosten zu senken. Da war der Ausbruch der Energiekrise noch nicht abzusehen. Das richtige Gespür hatten sie ja, weil Erneuerbare nun einmal schwankungsanfällig sind. Doch ein Produkt für digitales Energiemanagement allein, mit dem ein Kunde einen täglichen Mehrwert erkennt, ließ sich nur schwer vermitteln und verkaufen, mussten sie erkennen.

Mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs explodierten die Strom- und Gaspreise, schnellten die Volatilitäten in die Höhe, gegen die sich Betriebe nicht wehren konnten. „Wir haben Mitte 2022 gemerkt, dass weniger der Ausbau der Erneuerbaren als vielmehr die extremen Preisschwankungen zum Thema geworden sind und den Unternehmen dafür ein Tool für tägliche Anpassungen in die Hand gegeben werden sollte“, erinnert sich Dekorsy. „Die müssen ihre Prozesse komplett nach dem Energieverbrauch ausrichten.“

Die Herausforderung für die Gründer lautete, automatisiert Transparenz über KI zu schaffen. „Wir müssen den Firmen auf dem silbernen Tablett servieren, wie sie die Energiekosten eindämmen können“, sagt Dekorsy. So entwickelten sie das Produkt „Cockpit“ als Nukleus von ecoplanet. Schon bald kamen Kunden auf sie zu, die nach auf sie zugeschnittene Energietarife und Lieferverträge fragten. Im nächsten Schritt konzentrieren sich Keppler und Dekorsy darauf, Werkzeuge für Prozesssteuerungen und automatisierte Lösungen zu entwickeln, um den Energieverbrauch auf Zeitfenster mit günstigen Preisen auszurichten; wenn es beispielsweise um den Einsatz von Batterien oder Speichern für Kühlung oder Wärmeerzeugung in der Produktion geht.

Es beginnt mit Beratung für den Mittelstand

Als ehemalige Unternehmensberater sind sie darauf trainiert gewesen, sehr strukturiert vorzugehen. Dekorsy ist „purer BWLer“ und war nach seinem Abschluss im Master für Finance and Managment an der britischen Universität St. Andrews drei Jahre bei der Boston Consulting Group (BCG). Keppler als „BWLer mit technischen Hintergrund“ machte an der TU München den Master in technologie- und managementorientierte Betriebswirtschaftslehre arbeitete vor der Gründung fünf Jahre bei McKinsey. Kennengelernt haben sie sich vor mehr als fünf Jahren über gemeinsame Freunde.

Maximilian Dekorsy hatte damals schon über Software nachgedacht und Versuche gemacht, wie Geschäftsprozesse von mittelständischen Firmen vereinfacht und dafür notwendige Beratung automatisiert werden kann. In der zweiten Jahreshälfte 2019 hatte er sich als Berater für den Mittelstand selbständig gemacht. „Jedes Mal, wenn man für einen Kunden ein Problem gelöst hat, hat sich daraus ein potentielles neues Geschäftsmodell ergeben“, sagt er. Aus den erkannten Schwachstellen baute er eine erste Software. Just zu jener Zeit lernte er Keppler kennen, der noch bei McKinsey arbeitete. Der hatte sich im Zuge seiner - nicht abgeschlossenen - Promotion mit Venture Capital befasst und war 2015 für die Start-up-Schmiede Rocket Internet tätig, tauchte so in die Szene ein.

Beide sprachen im Herbst 2021 erstmals über Dekorsys Idee einer automatisierten, digitalen Mittelstandsberatung. Im Laufe dieser Zeit poppte das Energiethema mit steigenden Volatilitäten aufgrund des zunehmenden Einsatzes regenerativer Energien auf. Voilà: Das ecoplanet-Modell war geboren.

Prominenter Einstieg eines neuen Investors

Eine größere Bestätigung und Anerkennung für das Modell von Dekorsy und Keppler kann es mit der jetzt erfolgten Serie-A-Finanzierung über 16 Millionen Euro kaum geben, die am Montag bekannt gegeben worden ist. Das bekommt dadurch Gewicht, wenn der größte europäische VC-Fonds ifür Frühphasen-Investments - EQT Ventures mit Repräsentanzen in Stockholm, Berlin, London, Paris, San Francisco und Amsterdam - einsteigt. Dabei befanden sich die Gründer laut Dekorsy in der angenehmen Ausgangslage, unter sechs Bietern auswählen zu dürfen. Mit dabei sind auch die bisherigen Investoren, die bis dato mit Pre-Seed und Seed insgesamt 6,1 Millionen Euro investiert haben. Prominente Adressen: allen voran HV Capital; der Manager-Haudegen Gerhard Cromme, einst Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzender von ThyssenKrupp und Siemens-Chefkontrolleur, ist von der Partie, der sich seit vielen Jahren für Start-ups engagiert; schließlich - vermittelt durch HV Capital - die Flixbus-Gründer Daniel Krauss, André Schwämmlein und Jochen Engert.

                                   Unter die Start-up-Investoren gegangen: Gerhard Cromme      Foto theion

„Wir können den Investoren beweisen, dass wir den Product-Market-Fit erreicht, entsprechende Strukturen aufgebaut haben, schnell und profitabel wachsen und nun skalieren können“, sagt Dekorsy. Die Belegschaft wird von 35 auf bald 80 Mitarbeiter ausgebaut, darunter viele Vertriebler. Darin fließt ein Hauptteil der Investitionen, zusätzlich in Marketing. Im nächsten Jahr fokussiert ecoplanet noch auf den deutschen Markt, um dann 2026 erste Schritte ins Ausland etwa nach Spanien, Italien oder möglicherweise Osteuropa zu vollziehen.

Von der „ersten Sekunde“ an habe ecoplanet mit vier Kunden Umsatz erzielt, sagt Dekorsy. Im ersten Jahr erreichte dieser ein siebenstelliges Volumen. In den vergangenen zwölf Monaten sei er um Faktor vier gestiegen; Zahlen nennt er nicht. Seit April diesen Jahres hat sich die Zahl der Standorte von Kunden sowie der gelieferte Strom verdreifacht. Um das Dreifache wolle man jeweils 2025 und 2026 zulegen, danach vielleicht um das Doppelte. In fünf Jahren visieren die Gründer einen Umsatz von 100 Millionen Euro an. Von all jenen Planzahlen hält Maximilian Dekorsy allerdings nicht so viel. Er formuliert lieber andere Ziele. In fünf Jahren müsse ecoplanet die Prozesse für Unternehmenskunden durchstrukturieren. „Heute sind wir Energieplaner, morgen sind wir Prozessplaner.“

https://www.ecoplanet.tech/

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