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04 Mar
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Das in den vergangenen zwanzig Jahren entstandende Gründerzentrum um die Technische Universität München hat sich zum größten Start-Up-Netzwerk in Europa entwickelt. Sein Nukleus: die von Quandt-Erbin Susanne Klatten geschaffene gemeinnützige Organisation UnternehmerTUM. Das Erfolgsrezept: die enge Zusammenarbeit von Universität, Forschungsinstituten, Unternehmen und  Investoren.  Nun soll das Konzept in ganz Deutschland umgesetzt werden. Dazu ruft das  Bundeswirtschaftsministerium den „Leuchtturmwettbewerb Startup Factories" aus. In den nächsten fünf Jahren sollen zehn bis 15 Gründerzentren um Hochschulen herum  entstehen. UnternehmerTUM als Blaupause, um im internationalen Wettbewerb innovativer Unternehmensgründungen Boden gutzumachen.

4. März 2024 - Von Rüdiger Köhn, München

„Mit meinem Engagement möchte ich als Unternehmerin ein Zeichen für die Förderung von Unternehmertum in Deutschland setzen.“ BMW- und Quandt-Erbin Susanne Klatten verfolgt ihre Mission seit 22 Jahren und hat damit einen der hellsten Leuchttürme in der deutschen Start-Up-Landschaft geschaffen, die im internationalen Vergleich aber immer noch ein eher bescheidenes Ausmaß annimmt. „Die Arbeit von UnternehmerTUM ist ein wichtiger Schritt zu einer neuen Gründungskultur in unserer Gesellschaft.“

Mit dieser Mission ist der Gründerin, Gesellschafterin und Aufsichtsratsvorsitzenden der gemeinnützigen Organisation UnternehmerTUM GmbH seit 2002 der Aufbau eines bis dato einmaligen Netzwerkes gelungen. Dessen Mitglieder: die Technische Universität München (TUM); immer mehr auch die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) sowie die Hochschule München; Institute aus Forschung und Wissenschaft; große Konzerne wie Siemens, SAP, BMW, Wacker oder Infineon; mittelständischen Unternehmen sowie Familienfirmen; Stiftungen; private Geldgeber. Ohne dieses umspannende Ökosystem würde Google kaum München zu einer der wichtigsten Standorte in Europa ausbauen oder Apple nicht eines seiner großen europäischen Entwicklungszentren errichten, das sich inzwischen schon in der zweiten Expansionsphase befindet. München ist in zwei Dekaden zum wichtigsten Gründerzentrum in Europa aufgestiegen.

                         Susanne Klatten                                                      Fotos UnternehmerTUM

Nun avanciert diese ziemlich einzigartige  Start-Up-Szene zum nationalen Modell - zum Bauplan für ein wettbewerbsfähigeres Start-Up-Deutschland: Mit dem „Leuchtturmwettbewerb Startup Factories“ will das Bundeswirtschaftsministerium unter Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne) bundesweit ein Netz von Gründer-Biotopen rund um Universitäten nach dem Münchner Vorbild errichten. Es geht darum, im internationalen Wettbewerb um Innovationen, Wissen, hochqualifizierte Kräfte und am Ende Existenzgründer stärker zu punkten - und auch die Attraktivität für ausländisches Risikokapital zu erhöhen.

Zwar betreiben schon viele deutsche Hochschulen Gründerschmieden. Allen voran Aachen und Köln mit der engeren Verknüpfung von Wissenschaft und Privatengagament beziehungsweise -kapital. In Berlin etwa gibt es ähnlich wie in München eine öffentlich-private Partnerschaft zur Förderung von Wirtschaft und Technologie (Berlin Partner), jedoch in einem weiter gefassten Modell einer eher allgemeinen Wirtschaftsförderung. UnternehmerTUM verfolgt eine Strategie, die konsequenter und stringenter über einen „Grassroot-Ansatz“ Entrepreneurship und Existenzgründungen katalysiert - ausgehend von den Studierenden, deren Engagement früh gefördert werden, um Ideen nicht im Keim erster Zweifel ersticken zu lassen.

Mit dem aufgelegten „Leuchtturmwettbewerb Start-Up-Factories“ entsteht eine weitere Säule neben dem bereits intensiv genutzten Förderprogramm „EXIST – Existenzgründungen aus der Wissenschaft“ und ist zugleich ein zentrales Vorhaben der Mitte vergangenen Jahres verabschiedeten Start-Up-Strategie der Bundesregierung. In Zeiten wachsender wirtschaftlicher und politischer Unsicherheiten, rezessiven Erscheinungen und zunehmend limitierten Start-Up-Kapitals mit vorsichtiger gewordenen Venture-Capital-Investoren scheint eine derartige Initiative dringender denn je.

Zu 50 Prozent privat finanziert

Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministerium soll der Aufbau hochschulnaher und gleichzeitig unternehmerisch orientierter Gründungszentren vorangetrieben werden; den Start-Up-Factories. „Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind eine der wichtigsten Quellen für neue Technologien, für innovative Produkte und Dienstleistungen“, sagte Wirtschaftsminister Habeck in München anlässlich seines Besuches des Start-Up-Netzwerkes. In der Forschung nehme Deutschland eine Spitzenposition ein. „Um auch zu einer führenden Start-up Nation zu werden, müssen wir den Transfer von Wissen und Technologie in die Wirtschaft weiter ausbauen.“ Dafür solle die „Etablierung von überregionalen und international sichtbaren Start-up-Leuchttürmen“ gefördert werden. Er fordert einen „Schulterschluss von Hochschulen mit privaten Finanzierungspartnern“, um mehr Ausgründungen aus der Wissenschaft zu ermöglichen.

Es geht nicht um das reine Bereitstellen von Steuergeldern. Das würde nicht der Förderphilosophie entsprechen, die einst Susanne Klatten formuliert hat. Bedingung ist: Die Finanzierung der zu errichtenden Start-Up-Factories muss als Public-Private-Partnership zu mindestens 50 Prozent aus privaten Mitteln erfolgen, damit der Zusammenschluss von Hochschulen, Investoren und etablierten Unternehmen das deutsche Start-Up-Ökosystem skaliert werden kann. Zudem müssen sie nach unternehmerischen Prinzipien betrieben und geführt werden.

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In einem ersten Schritt wird eine Konzeptphase durchgeführt, an der sich Hochschulen und Forschungseinrichtungen beteiligen können. Bis Anfang Juni wählt eine Jury aus externen Experten bis zu 15 Projekte aus, die dann mit finanzieller Unterstützung des Wirtschaftsministeriums (im Gespräch sind 150.000 Euro) ihr jeweiliges Feinkonzept für eine Start-up-Factory entwickeln und sich damit auf eine für 2025 geplante Umsetzungsphase bewerben. Je nachdem, wie erfolgversprechend die entwickelten Konzepte sind, sollen zehn bis 15 „Fabriken“ entstehen. Die Auswahl dürfte nicht einfach werden. Denn schon im Vorfeld sollen mehrere Dutzend Institutionen ihr Interesse am seit einem Jahr vorbereiteten und kursierenden Leuchtturmwettbewerb gezeigt haben. Über fünf Jahre soll das Programm laufen, das mit Fördermitteln von 100 Millionen Euro unterlegt ist. Verglichen mit der anstehenden Subvention von 10 Milliarden Euro für eine Chipfabrik von Intel in Magdeburg relativiert sich jedoch diese Summe und nimmt sich angesichts des hehren Anspruches, Deutschland international wettbewerbsfähiger zu machen, bescheiden aus - selbst wenn sich das Volumen wegen der Beteiligung von privatem Kapital zumindest verdoppeln dürfte.

Hochqualifiziertes, aber nicht aktiviertes Potential

Das Leuchturmprojekt wird privates Kapital, vor allem aber privates Engagement abverlangen. Es dürfte für die antragstellenden Universitäten eine große Herausforderung werden, private Mit-Initiatoren, Fürsprecher und Financiers der Größe von Susanne Klatten zu finden und zu überzeugen. „Ich habe damals wahrgenommen, dass in München und Umgebung hochqualifiziertes, aber noch nicht aktiviertes Potential für Unternehmensgründungen steckt“, beschrieb sie einmal in einem der seltenen Gespräche in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Ende 2019 ihre Motivation. „Dies wollte ich mit meinen Mitteln und Möglichkeiten mobilisieren.“ Das, was sie schon damals sagte, klingt wie ein aktueller Aufruf an potente private Geldgeber, sich an dem Projekt zu beteiligen: „Es war mir ein Bedürfnis, als Unternehmerin ein deutliches Zeichen für die Förderung von unternehmerischen Denken und Handeln an den Hochschulen zu setzen.“

An ihrer Seite steht Helmut Schönenberger. Schon lange hat den Vorstandschef und Mitgründer von UnternehmerTUM die Vision beschäftigt, das auf München fokussierte Modell bundesweit auszurollen. „Es ist absolut notwendig, dass wir in Deutschland ein ausdifferenziertes System in der Start-Up-Szene mit unterschiedlichen Schwerpunkten an verschiedenen Standorten hinbekommen“, sagte er ebenfalls schon Ende 2019 gegenüber der F.A.Z. Vor zwei Jahren nahm er Kontakt mit dem Bundeswirtschaftsminsterium auf, das gerade Robert Habeck übernommen hatte. Sein Anliegen einer bundesweiten Offensive à la München stieß beim aufgeschlossenen Minister auf Sympathie.

                             Helmut Schönenberger

Für Wirtschaftsingenieur Schönenberger ist seit jeher klar gewesen, dass die TUM „für Unternehmen ein Quell von Talenten und eine Innovationsschmiede“ ist. Die Gleichung ist ganz einfach- und die gilt nach seiner Ansicht genauso auch für andere Standorte in der deutschen Universitäts- und Wissenschaftslandschaft: „Da wo die Post abgeht, sind auch Google und Co.; da wo Google und Co. sind, wollen auch die Start-Ups gerne hin." 

Er weiß es nur zu gut. Schönenberger hat schließlich zur Entscheidung des amerikanischen Internet-Giganten für die Investition in München beigetragen, indem er damals - im Jahr 2019 - im Vorfeld mit dem damaligen Entwicklungschef von Google Deutschland das Rekrutierungspotential in der bayerischen Landeshauptstadt sondierte. Denn zu den bereits angestellten 1000 Mitarbeitern sollen immerhin 1500 meist hochqualifizierte Kräfte hinzukommen, wenn die komplett sanierte Alte Post nahe dem Münchener Hauptbahnhof nach überlanger Bauzeit voraussichtlich Mitte dieses Jahres bezugsfertig sein soll. Schönenberger arbeitete nach seiner Devise: „Google unterstützt uns mit Technologie und auch finanziell; wir unterstützen Google mit unserem Netzwerk.“

Transfer von Wissenschaft in den Markt hakt

Helmut Schönenberger wie auch Susanne Klatten geht es nicht um einen Wettbewerb unter deutschen Universitätsstandorten und Start-Up-Ökosystemen. Im Gegenteil. Beide beschäftigt der herausfordernde internationale Wettbewerb. Nach wie vor hinkt Deutschland im Vergleich zu anderen führenden Industrieländern trotz seiner (schon anhand der Menge von Patente erkennbaren) Expertise hinterher und hadert mit dem Transfer wissenschaftlicher Errungenschaften in kommerziell nutzbare, marktfähige Lösungen.

Im Kampf um innovative Unternehmen und Wettbewerbsvorteile reicht längst nicht mehr ein Blick ins kalifornische Silicon Valley, nach London, Paris oder Barcelona. Allein der Stadtstaat Singapur ist in den vergangenen zehn Jahren international zu einem Hotspot vor allem für technologische Neugründungen avanciert und zieht aus aller Welt Gründer und Erfinder an. Für Susanne Klatten hat sich schon in Deutschland viel bewegt, haben sich die Rahmenbedingungen für junge Unternehmen etwa mit Blick auf das EXIST-Programm verbessert. Doch schon vor vier Jahren warnte sie gegenüber der F.A.Z.: „Wir dürfen uns auf Teilerfolgen nicht ausruhen, sondern müssen uns weiter anstrengen, wenn wir zu den führenden Start-Up-Nationen gehören wollen.“


                         Munich Urban Colab


Das Konzept von UnternehmerTUM

Viele Universitäten und Hochschulen von Aachen über Braunschweig, Heidelberg, Köln, Hannover, Hamburg, Berlin, Tübingen bis hin Heilbronn pflegen in der wissenschaftlichen Arbeit zwar enge Kontakte und Entwicklungskooperationen mit Unternehmen und auch Investoren, was in Aus- und Neugründungen münden kann. Allerdings zeichnet sich das Konzept in München mit der Technischen Universität als Nukleus durch einen systematischen, vielseitigen, ganzheitlichen Ansatz aus, den es bislang so in Deutschland nicht gibt - von der Unterstützung schon in der allerersten Ideenphase über konkrete Beratung und Begleitung in allen Stadien der Unternehmensgründung bis hin zu einer breiten Venture-Capital-Finanzierung.

Die gemeinnützige UnternehmerTUM GmbH beschäftigt mittlerweile 450 Mitarbeiter und verzeichnet im Jahr rund 80 vor allem in der Hochtechnologie angesiedelte Ausgründungen. Seit 2002 sind so mehr als 1000 Start-Ups entstanden, darunter der Mobilitätsdienstleister Flix (früher Flixbus), das Softwareunternehmen Celonis, Flugtaxi-Entwickler Lilium, der Thermostat-Hersteller Tado oder Raketenbauer Isar Aerospace. Das aufgebaute Netzwerk und die zugehörigen Tochtergesellschaften beziehungsweise Initiativen ist so groß, dass man leicht einmal den Überblick verlieren kann. 

Mit dem starken Wachstum sollen die verschiedenen Aktivitäten zunehmend unter der Dachmarke UnternehmerTUM koordiniert werden. Dazu gehören unter anderem:

  • UVC, dem Risikokapitalgeber von UnternehmerTUM
  • Xpreneurs als Inkubator und Accelerator;
  • Xplore als Beratungsplattform im Ideen-Stadium von Studierenden oder in der Pre-Seed-Phase;
  • TechFounders als Coaching und Netzwerk für Gründer;
  • TUM-Gründungsberatung für Studierende und Forschende in allen Phasen der Firmen-Entstehung;
  • Munich Urban Colab als bis dato einmaliges Innovations- und Gründerzentrum mit dem Themenschwerpunkt Smart-City-Lösungen in Kooperation mit der Landeshauptstadt München; mittlerweile Treffpunkt und Schmelzpunkt der Münchner Gründer- und Kreativszene sowie gewissermaßen  Niederlassung und Flaggschiff von UnternehmerTUM;
  • Makerspace als Hightech-Prototypen-Werkstatt mit Zugang zu hochwertigen Werkzeugen, Maschinen oder Software sowie begleitendes Beraterpersonal, wo Studierende und Forscher tüfteln können.


                         Eine von zahlreichen Info-Veranstaltungen im Colab

https://www.unternehmertum.de/

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