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31 Oct
31Oct


Die elektrisch angetriebene Drohne wird von vier Hover-Motoren senkrecht in die Höhe getragen, zwei Rotoren an den Tragflächenenden beschleunigen sie auf 70 Kilometer in der Stunde Fluggeschwindigkeit. 30 Studenten der Technischen Universität München (TUM) - ein bunter, rastloser, internationaler Haufen - haben in einem Jahr dieses einmalige Konzept entwickelt. In ein bis zwei Jahren wollen die TUMler einen Prototyp entwickelt haben, der mit bis zu 2 Kilogramm Nutzlast Blutplasma, Organe oder Defibrillatoren zur Reanimation dort schnell hinfliegen sollen, wo sie dringend benötigt werden.


31.Oktober 2020

Er heißt "Silencio Gamma" und soll eigentlich leise fliegen. Doch die 30 Studenten der Technischen Universität München (TUM) setzen die Prioritäten für ihren Senkrechtstarter zunächst auf den geringen Energieverbrauch. Das hinderte sie nicht daran, dass das 13 Kilogramm leichte, weitgehend aus Carbon bestehende Fluggerät mit vier Vertikalrotoren und zwei Horizontalpropellern - alle elektrisch angetrieben - gut aussehen sollte, als es erstmals im Oktober in Oberpfaffenhofen vor den Toren Münchens unweit des  Sonderflughafens mit seinem "Roll-out" Premiere feierte.

Ein Jahr ist es her, dass die Studenten unterschiedlichster Nationalitäten in einer kleinen Werkstatt der TUM draußen in Garching mit der Entwicklung und dem Bau eines elektrisch betriebenen unbemannten Flugvehikels der Kategorie Electric Vertikal Take-Off and Landing (eVTOL) begonnen hat. "Horyzn" nennen sie ihr Projekt, das sich zum Ziel setzt, eine unbemannte, auch mal autonom fliegende Transportdrohne zu konzipieren. 


Fotos Horyzn


Besonders in den ersten Monaten ging es auch mal abenteuerlich zu. "Frankenstein" hieß das erste um Halloween entstandene Modell. Dessen erster Flugversuch im Dezember endete nach zehn Sekunden jäh mit einem Absturz, begleitet vom fluchenden Kommentar "Sch..." von Balázs Nagy, dem Leiter und Initiator von Horyzn. Eine zweite unsanfte Landung folgte sogleich. Fünf Abstürze mussten er und sein Team verwinden - von "Frankenstein" über die systematisch weiter entwickelten Versionen "Alpha", "Beta" und nun "Gamma". 

Die erste echte Prüfung sollte die ausgereiftere "Silencio Gamma" Ende Oktober ohne Absturzgefahren bestehen. Da trat das Münchner Horyzn-Studenten-Team aus der Luft- und Raumfahrttechnik , Chemie, Physik, Maschinenbau, Informatik und Betriebswirtschaftslehre gegen sechs konkurrierende Gruppen in Hamburg an, die am internationalen Drohnen-Wettbewerb - dem New Flying Competition der Hamburger Universität für angewandte Wissenschaften - teilnehmen. 

Und noch ein Crash

15 Minuten mit Geschwindigkeiten von bis zu 60 Kilometer in der Stunde müssen sie mit einer Reichweite von mehr als 15 Kilometer Manöver wie enge Kurven und einen Looping fliegen und einen zwei Kilogramm schweren, 1,10 Meter langen Quader transportieren. Tatsächlich kann der 1,95 Meter lange Gamma mit einer Spannweite von 3,60 Meter eine Reisegeschwindigkeit von 72 Kilometer in der Stunde erreichen und schafft 50 Kilometer Reichweite.

Doch drei Tage vor dem Wettbewerb das Desaster: Absturz. Improvisationsgeschick haben sie schon die Monate zuvor zur Genüge bewiesen. Nun auch dieses Mal. In kürzester Zeit haben die Studies die beschädigten Komponenten, und davon gabs einige, wieder neu gefertigt und so den Prototypen im Wettbewerb starten können. Das einzige Team, das keine Erfahrung im Prototypenbau vorzuweisen hatte, hat den zweiten Platz gemacht.



Wieder sind es Studenten der TU München, die in Eigeninitiative ganz real und praktisch an Zukunftstechnologien arbeiten. "Natürlich habe ich Hyperloop im Kopf gehabt", sagt Initiator Nagy, 26 Jahre, Student der Luft- und Raumfahrttechnik, der gerade an seiner Masterarbeit sitzt. Nagy hatte in Vorlesungen der Professoren Mirko Hornung (Lehrstuhl für Luftfahrtsysteme) und Florian Holzapfel (Flugsystemdynamik) - die Schirmherren für das Projekt - geworben und über E-Mail-Aktionen Mitstreitende gewonnen. "Hyperloop hat doch gezeigt, dass so etwas funktionieren kann." Viermal hintereinander hatten die 35 Studenten der TU München mit ihrer Kabine (Pod) für das Tunnel-Transportsystem mit Schallgeschwindigkeit namens Hyperloop gewonnen. 

Elon Musk, Gründer von Tesla und des Raumfahrtunternehmen Space X, hat die Wettbewerbe mit internationaler Beteiligung ausgeschrieben. "TUM Hyperloop" machte Schlagzeilen und weckte die Aufmerksamkeit von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der das Studentenprojekt in sein Luft- und Raumfahrtprogramm "Bavaria One" als Visitenkarte aufgenommen hat. Die Studenten, die sich dafür im Verein "Next Prototypes" zusammengeschlossen haben, erhalten staatliche Unterstützung und arbeiten nun in einem Forschungsprogramm.

TUM Hyperloop setzt die Maßstäbe

So weit sind die Horyzns noch nicht. "Die setzen hohe Hürden, haben ja schließlich immer gewonnen", lacht Sonja Dluhosch, 21 Jahre, Studentin der Betriebswirtschaftslehre an der TUM mit Schwerpunkt Maschinenbau. Sie befasst sich mit den Geschäftsmodellen für ein derartiges Projekt. Regelmäßig sprechen sie mit den Hyperloop-Kollegen, holen sich fast jeden Tag Rat und Unterstützung. Balázs Nagy will jedoch den bevorstehenden Wettbewerb in der Hansestadt nicht hervorheben, zumal der bei weitem nicht das Kaliber des "Space X Hyperloop Pod Competition" von Elon Musk hat, um den es immer wieder einen riesigen Hype in der Studentengemeinde gegeben hat. 

In Hamburg gab es sieben Gruppen, darunter zwei weitere deutsche Teilnehmer mit HAWings der Uni Hamburg und Eco Car von der Uni Erlangen-Nürnberg und Teams aus China, Serbien, Finnland sowie Mexiko. "Die Gruppe existiert nach dem Wettbewerb weiter, egal wie er ausgeht; das Team funktioniert", haben Nagy und das Team von vorhein gesagt.


"Der Trend in der Forschung geht immer mehr zu Demonstratoren, mit denen Ideen schnell umgesetzt und die Machbarkeiten geprüft werden", sagt Sebastian Köberle, 34 Jahre, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät Luft- und Raumfahrttechnik und Verbindungsmann zu den Lehrstühlen. Er ist im Team vor allem für die Flugerprobung zuständig. Dabei gibt es schon so viele Drohnen-Projekte, weshalb sich die Frage stellt, warum nun noch ein weiteres. 

Einfaches, weniger anfälliges Konzept

Das Konzept von Horyzn unterscheidet sich. Vier Hover-Rotoren an Auslegern der Tragflächen sorgen für Senkrechtstart und -landung, zwei Propeller an den Flügelspitzen für den Vortrieb. Andere Konzepte arbeiten etwa mit drehbaren Flügeln wie Lilium oder mit verstellbaren Rotoren nach dem Hubschrauberprinzip wie Volocopter. "Die Aufteilung der Antriebe ist weniger komplex und macht die Konstruktion einfacher und nicht so anfällig", sagt Köberle. Durch die Trennung ist der Antrieb energieeffizienter; und die Rotoren fliegen wegen geringerer Windwiderstände stromsparender. "Einfache Lösungen für komplexe Probleme", lautet das Prinzip.


Horyzn ist für leichtere Transporte gedacht, für Medikamente, Organe, Blutspenden, Defibrillatoren zur Reanimation oder für Dokumente. Kontakte zu Krankenhäusern wie der Universitätsklinik in München-Großhadern habe sie schon gehabt, sagt Sonja Dluhosch. "Problem aber ist immer die Zulassung, das ist unsere Hauptarbeit fernab der technischen Herausforderungen." Egal wie der Wettbewerb ausgeht: Danach nehmen sie sich weiterhin die erhöhte Energieeffizienz vor, dann auch die Geräuschreduktion. Vieles müsse noch optimiert und auch an der Integration eines Autopiloten gearbeitet werden, kündigt Balázs Nagy die nächsten Schritte an.

In ein bis zwei Jahren soll es einen Prototypen für konkrete Anwendungen geben, etwa in der Medizin. Zu den Sponsoren gehören Camilo Dornier als einer der Erben der Flugzeugbauer-Dynastie, Lilium, Quantum Systems, der Sensor- und Radartechnikhersteller Hensoldt, der Triebwerksbauer MTU oder der Autovermieter Hertz. Auch steht schon fest, dass Horyzn durch die in Ottobrunn entstehende Fakultät Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie finanziell unterstützt wird. Initiator Nagy muss sich nach dem Wettbewerb um seine Masterarbeit kümmern. Darin befasst er sich mit der Lärmbelästigung durch Drohnen. "Silencio Gamma" dient ihm als Versuchs- und Messobjekt.


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