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17 Dec
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Nicht nur Berlin oder München oder Paris oder London. In der katalanische Hauptstadt Barcelona hat sich in den vergangenen Jahren ein veritables Gründer-Ökosystem entwickelt. Das hat weniger mit der mediterranen Wohlfühl-Atmosphäre, dem Strand und der Sonne zu tun. Ein Bündnis aus Förderern, Unternehmen, Universitäten und Stadt hat es vorangetrieben, und lockt ebenso Ausländer an. Cooltra vom Deutschen Timo Buetefisch und die spanischen Aushängeschilder Wallbox, Glovo sowie eDreams sind dort geboren. So recht fällt es nicht auf, dass Barcelona inzwischen zu einer der führenden Start-Up-Schmieden in Europa geworden ist.

17. Dezember 2022 - Von Rüdiger Köhn, München

Timo Bütefisch ist ein konsequenter und entschlossener Unternehmensgründer. Er hat nie daran gezweifelt, sein Start-Up Cooltra im Jahr 2006 in Barcelona gegründet zu haben, in einer kleinen Werkstatt unweit der seit Jahrhunderten im Bau befindlichen und immer noch unvollendeten Kirche La Sagrada Familia. Heute befindet sich die Unternehmenszentrale der Cooltra Grupo einige Schritte weiter Richtung Mittelmeer, nur einen Steinwurf entfernt vom Yachthafen und den beliebten Promenaden am Wasser. Es sind nicht Sonne, Yachten, Strand, Meer und mediterranes Feeling gewesen, das Start-Up dort zu gründen. Einfach sei diese Reise nicht gewesen, sagt er. „Aber in Barcelona war es mir möglich, die Unterstützung und die erforderlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung meines Projektes zu finden." Längst ist er assimiliert, weshalb er seinen Nachnamen Buetefisch schreibt; klar der typisch deutsche Vokal mit den Tüttelchen ist international wie im Spanischen - pardon: Katalanischen - irritierend.

Cooltra ist Vermieter und Verkäufer von Motorrollern. Gestartet ist Buetefisch in der Mittelmeer-Metropole, weil sie eine hohe Affinität zur Mikro-Mobilität und damit zu Motorrollern hat; „die Stadt der Motorroller", wie er sagt, mit dem idealen Klima für sein Geschäftsmodell. Mittlerweile ist das Unternehmen in sieben europäischen Großstädten vertreten, betreibt eine Flotte von insgesamt 18.000 Motorrollern, davon fast 70 Prozent elektrisch betrieben, sowie E-Bikes. Zur Klientel gehören nicht nur Privatpersonen (Einheimische wie Touristen), sondern auch Gewerbekunden. In Deutschland versucht Cooltra derzeit, zunächst mit einem Angebot für Geschäftskunden (B2B) Fuß zu fassen.

                         Cooltra-Gründer Timo Buetefisch                                             Foto Cooltra

Es hatte private und berufliche Gründe, warum der Gründer aus Deutschland in Barcelona hängen geblieben ist, wo er schon vor 2006 lebte. „Seitdem ich hier angekommen bin, habe ich nie in Erwägung gezogen, in mein Heimatland zurückzukehren." Und er legt nach: „Ich kann mir gar nicht vorstellen, Cooltra von einem anderen Standort als Barcelona zu steuern." Eine „kosmopolitische Stadt", die unter den Besten in der Welt in Sachen Lebensqualität, Sicherheit und Fairness stehe, mit einer langen Tradition in Wirtschaft, Industrie und Handel. „Ohne Zweifel ist sie eine Stadt für Unternehmensgründer." 

Das Start-Up-Ökosystem in Katalonien ist besonders in den vergangenen fünf Jahren dynamisch gewachsen. Nicht nur Buetefisch und Cooltra haben es für Aufbau und Etablierung genutzt; sie gehören zu den prominenten Aushängeschildern. Rund 1900 Start-Ups gibt es dort, davon fast 90 Prozent in Barcelona. Auch andere deutsche Gründer hat es dorthin verschlagen. Sven Mulfinger, der vor längerer Zeit an der TU München seinen Doktor als Biotech-Ingenieur gemacht hat, startete 2020 mit Partnern das MedTech Dana (digitale Therapien, Behandlungen und Betreuung für Schwangere), der Wissenschaftler Holger Heyn ebenfalls in der Medizintechnik den Diagnostik-Spezialisten Omniscope.

Wallbox und Glovo als Visitenkarten

Spanischer Provenienz ist das 2015 nahe Barcelona in einem Lagerhaus gegründete Start-Up Wallbox, internationaler Anbieter von Ladestationen für Elektroautos. Zu den Aushängeschildern gehört auch Glovo, das 2014 Premiere hatte. Die digitale Lieferplattform für E-Commerce hat von Barcelona aus ein Netzwerk auf 25 Länder und mehr als 1500 Städte in Europa, Asien und Afrika ausgebreitet. Das Reiseportal eDreams wurde 2020 das erste spanische Unicorn mit einer Bewertung von mehr als 1 Milliarde Dollar.

Nach dem Ranking des renommierten Analyseinstitutes StartupBlink rangiert Barcelona unter den Städten in der Europäischen Union auf Platz fünf; hinter Paris, Berlin, Stocholm und Amsterdam, knapp vor München (siehe Liste). In ganz Europa dominiert natürlich London, das laut Studie in der Weltskala den dritten Rang hinter San Francisco und New York einnimmt. StartupBlink,  das jährlich die wohl umfassendsten Untersuchungen über Gründer-Ökosysteme weltweit erstellt, zieht für seine Analyse unter anderem die Zahl der Start-Ups, deren Qualität sowie das wirtschaftliche Umfeld mit dem Geschäftsklima heran. Ein Großteil der entwickelten Technologien in Katalonien/Barcelona fokussiert nach den Analysen auf Künstliche Intelligenz und Big Data (36 Prozent), Cloud und Edge Computing (14 Prozent), Automation (10 Prozent) sowie Internet der Dinge (9 Prozent). Rund 17 Prozent der Gründer stammen aus dem Ausland.

                                                                                                                            Quelle: StartupBlink

Genug der Statistiken. „Berlin und München sind sehr reife, entwickelte Ökosysteme für die Förderung von Entrepreneur-Projekten, die gleiche führende Rolle spielt aber auch Barcelona", sagt Timo Buetefisch. Da kommt Marie Kapretz ins Spiel: „Oft wird der Mittelmeer-Raum unterschätzt, blickt man in Deutschland immer nach Großbritannien und in die USA, wenn es um Entwicklungen in der Start-Up-Szene geht und was es dort alles an Innovationen gibt." Kapretz sitzt in Berlin und repräsentiert die Landesregierung Katalonien (nicht von Spanien) in Deutschland. Ihre Aufgabe ist es, vor allem mit den Bundesländern nach Möglichkeiten wirtschaftlicher Kooperationen mit den Katalanen zu suchen. Die haben bekanntermaßen ein äußerst distanziertes Verhältnis zur Zentralregierung in Madrid, hartnäckig halten sich separatistische Strömungen.

1000 deutsche Unternehmen in Barcelona

Es ist die Herausforderung von Kapretz, die Werbetrommel für die „Tech City" Barcelona zu rühren. Wobei: Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Katalonien und Deutschland reichen schon weit in die Zeit der „Old Economy" zurück. Mehr als 1000 deutsche Unternehmen haben Niederlassungen und Werke in der Region, von Siemens über BASF bis hin zu Freudenberg, das gerade dort eine Produktion eröffnet hat. Wer den Namen Barcelona höre, denke natürlich an die schöne Stadt am Mittelmeer, an Strand, an Sonne, an gutes Essen. Dabei sei die Region auch wichtig für die deutsche Industrie.

                    Katalonien-Repräsentantin in Berlin: Marie Kapretz  Foto: Regierung Katalonien

Mit Blick auf das Gründer-Ökosystem ist für die Landesvertreterin wichtig, nicht nur den angelsächsischen Raum im Fokus zu haben. „Es ist genauso wichtig, in Kontinentaleuropa auf das Potential an Talenten zu schauen. „Da spielt Barcelona wie andere Zentren eine nicht minder wichtige Rolle." Sie wäre eine schlechte Repräsentantin, würde sie nicht noch einen weiteren Aspekt nachlegen: „Die katalonische Mentalität ist sehr innovationsfreudig und offen für viele Gründerprojekte unterschiedlichster Art."

Die Zentrale von Cooltra befindet sich nicht nur in Wurfweite zum Yachthafen, sondern liegt vis-a-vis von Pier 1 am Hafen. Dort hat sich „Tech Barcelona“ angesiedelt. Private Geschäftsleute hatten 2013 die Idee eines solchen Start-Up-Hubs und diesen mit Hilfe der Stadt seit 2016 konkret umgesetzt. Aus einer alten Lagerhalle wurde so ein properes Gründerzentrum mit offenen Co-Working-Spaces, Arbeitsräumen, kleinen Büros, Multifunktions-Bereichen für Besprechungen, Konferenzen und Veranstaltungen. „Tech Barcelona“ dient als Anlaufstelle für Entrepreneure und Start-Ups, für Unternehmen, Universitäten, Teile der Stadtverwaltung, Investoren und Berater. Mehr als 1000 Menschen arbeiten dort zurzeit.

          Um Pier 1 oder Palau die Mar haben sich weitere Hubs angesiedelt. Foto Tech Barcelona

Im vergangenen Jahr wurden rund 1,5 Milliarden Euro an Wagniskapital für Gechäftsideen in Katalonien und insbesondere Barcelona eingesammelt. Der größte Teil entfiel auf Glovo, das 450 Millionen Euro erhielt, sowie Wallbox mit 345 Millionen Euro Venture Capital. In der ersten Jahreshälfte 2022 überschritt das Investment-Volumen bereits die Milliarden-Schwelle. Mittlerweile beschäftigen die angesiedelten Start-Ups in der Region 19.300 Mitarbeiter und erzielten 2021 einen kumulierten Umsatz von 1,7 Milliarden Euro.

Mehr als nur Pier 1

Längst ist es nicht bei Pier 1 geblieben, das einen wichtigen Anstoß gegeben hat. Ein Netz von Gründerschmieden ist bereits um Palau de Mar und im weiteren Umkreis entstanden oder in der Planung; zunehmend auch am Stadtrand, wo mit 22@ ein ehemaliges Industrieviertel zu einem neuen Technologiezentrum mit mehr Raum und damit Wachstumsmöglichkeiten als im beengten Zentrum umgewandelt wird. Zu Unternehmen und neu gegründeten Firmen kommen Sozialwohnungen und Freizeiteinrichtungen, Universitäts- und Bildungsstätten.

               Start-Up-Hub Barcelona                                                                 Foto Tech Barcelona

Das Ökosystem hat dazu beigetragen, dass internationale Tech-Konzerne Barcelona für sich entdeckt haben. Erst im November hat der amerikanische IT- und Netzwerkkonzern Cisco ein Halbleiter-Entwicklungszentrum in Barcelona eröffnet. Damit entsteht ein weiterer Baustein im Plan der EU, den Ausbau eigener Chip-Fertigungen in Europa voranzutreiben, um unabhängiger von Asien und Amerika zu werden. Auch Apple hat ein Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz errichtet. 

Parallelen zum Start-Up-Hub München

Ähnlichkeiten zu München drängen sich auf, das in den vergangenen zehn Jahren eine beachtliche Gründer- und Tech-Szene etabliert hat. Im Jahr 2021 eröffnete das Munich Urban Colab, das ähnlich wie Pier 1 in Barcelona konzipiert ist, aber als eine Art Labor für nachhaltige Städte (Smart Cities) einen Themenschwerpunkt hat (siehe auch: Munich Urban Colab: Durchlauferhitzer für Gründer vom 15. November 2021 https://www.passion4tech.de/blog/munich-urban-colab-durchlauferhitzer-für-gründer). Das Umfeld hat maßgeblich dazu beigetragen, dass US-Tech-Konzerne dort einen größeren Fußabdruck hinterlassen. Apple eröffnet demnächst sein Chip-Design-Zentrum. Google baut seinen bisherigen Standort zu einem großen Entwicklungszentrum mitten in der Stadt aus. Drum herum ist bereits eine emsige Gründer-Kultur gewachsen. München bietet als großes Start-Up-Event die Bits & Pretzels, das während des Oktoberfestes stattfindet und sich in wenigen Jahren zu einem international anerkannten Hotspot gemausert hat.

Barcelona kann da noch drauflegen. Für deren Wirtschaft und dessen Start-Up-Ökosystem ist der jährlich im Februar stattfindende Mobile World Congress von großer Bedeutung, die wichtigste Messe für Telekommunikation und IT. Das gibt der Stadt zusätzlich das Flair einer Tech-City. „Mit ihren Messen, Kongressen und Cluster ist sie international positioniert, was sehr wichtig ist, wenn es darum geht, Unternehmen, Beschäftigung, Talente und Auslandsinvestitionen anzuziehen", sagt Timo Buetefisch, der vor Cooltra-Zeiten seine ersten Gehversuche als Gründer mit einem Blumen-Lieferdienst wagte, es aber nicht so lief, wie er es sich vorstellte. „Barcelona ist als Hub für Talente stetig gewachsen, womit sich die Stadt als größtes Start-Up-Ökosystem in Südeuropa etabliert hat."

Marie Kapretz sieht als Vertreterin Kataloniens indes keinen Wettbewerb zwischen den NewTech-Ökosystemen in Europa, wie es etwa in der Messewirtschaft der Fall ist. Die Mentalität in der Gründerszene sei einfach eine andere, die Dynamik und das Wachstum groß genug. „Mit der Flut steigen alle Schiffe", lacht sie.

Politische und regulatorische Unsicherheiten

Dennoch schüttet Timo Buetefisch Wasser in den katalanischen Wein. „Die Rahmenbedingungen in Barcelona sind heute unsicherer als vor fünf Jahren", moniert er. Politische Entwicklungen und Bewegungen seien aus der Sicht der Entrepreneure manchmal schwer zu verstehen. Damit spielt er unter anderem auf die mitunter hart ausgefochtenen Streitigkeiten, gar Kämpfe mit der Zentralregierung in Madrid an. Immer wieder keimen Bestrebungen nach Unabhängigkeit auf, zeitweise begleitet von militanten, gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Separatisten und der Staatsregierung.

Politisch aber auch regulatorisch gibt es für den Cooltra-Gründer einiges zu verbessern. Regulierung sei notwendig, wenn es darum gehe, die Interessen der Bürger und der Unternehmen zu verteidigen, die schließlich Arbeitsplätze schaffen und helfen würden, Barcelona zu den führenden Städten in Sachen Innovationen zu machen. „In der Praxis ist das leider nicht immer der Fall, und das würde einigen Schaden im Start-Up-Sector verursachen." Seitdem er in Barcelona lebe, sei er für die Verbesserung der Kommunikation und der privaten Zusammenarbeit eingetreten, insbesondere wenn es um Firmen aus Bereichen geht, die es vor zehn Jahren noch gar nicht gegegeben habe.

Das hält Timo Buetefisch nicht von seiner Überzeugung ab: Die Gründung von Cooltra in Barcelona sei ein Erfolg. „Deshalb tue ich alles mögliche, um Brücken zwischen Politikern und Geschäftsleuten zu bauen, so dazu beizutragen, Barcelona zur besten Stadt für Entrepreneurship zu machen."

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