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13 May
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Ahnungslose in der IT-Programmierwelt können nützliche Apps für ihre Arbeit basteln. Sven Zuschlag sieht es geradezu als seine Mission, dass das spielerisch erfolgt. Er hat die Plattform smapOne geschaffen, mit der in kurzer Zeit Anwendungen gebaut werden können. „No Code“ wird das genannt, da Programmierkenntnisse und das Schreiben von Codes nicht erforderlich sind. Er ist damit noch weniger anspruchsvoll als der schon einfachere „Low Code“. Ob „No Code“ oder „Low Code“ - für beide entsteht ein riesiger Wachstumsmarkt. Denn Selbsthilfe ist angesichts des chronischen Mangels an Programmierern angesagt. Die Idee der Demokratisierung fasziniert auch Thomas Müller. Der Stürmer des FC Bayern München und Nationalspieler gehört zu den Investoren.

 1. Mai 2022 - Von Rüdiger Köhn, München

Sven Zuschlag macht in Dauerschleife Werbung für ein traditionsreiches, unter Kindern wie Heranwachsenden immer noch sehr beliebtes Spiel: Lego. Er kann das Geschäftsmodell seiner 2014 mit Thomas Schwarz gegründeten smapOne anhand der Plastikklötzchen aus Dänemark nun einmal am besten erklären. „Setzt dich und schubs die Bausteine“, lacht der IT-Experte und langjährige Microsoft-Manager Zuschlag. Ob Handwerker, Servicetechniker, Mitarbeiter in einer Spedition, Facility-Manager oder Hausmeister, ob Mitarbeiter im Handel oder in der Personalabteilung - sie können sich eine App ohne Anleitung nach individuellem Bedarf basteln. 

Die Klötzchen - bei smapOne sind es zumeist Kacheln - liegen da und man stellt sich etwas zusammen. Nicht das fertige Haus, sondern der Weg dorthin sei das Ziel, stapele Stein auf Stein, baue Fenster und Türen nach Belieben ein. „Durch die Kombination entsteht etwas Großes." Die Plattform ist mit einem intuitiven App-Baukasten so ausgelegt, dass sie automatisch die Verbindung zu einzelnen Elementen herstellt. Jederzeit könne die App nach dem Trial-and-Error-Prinzip wieder geändert oder erweitern werden. „Das geht in einem IT-Projekt, an dem Programmierer aufwendig arbeiten, nicht ohne weiteres.“ 

                                   Sven Zuschlag                                                                                Fotos smapOne

So kann ein Handwerker über seine selbstgebaute App für seine Abrechnung Stunden und eingesetztes Material erfassen, ein Logistiker im Lager den Barcode scannen und so die Wareneingangskontrolle managen, in der Personalabteilung die Reisekostenabrechnung effektiver und schneller vorgenommen werden. Jeder habe ein Smartphone, und doch werde immer noch viel zu viel mit Papier gearbeitet, müssten in den Firmen gar per Hand Aufträge oder Abnahmeprotokolle eingetippt werden, klagt Zuschlag. „Da gehen wir rein und versuchen, zu digitalisieren, womit wir für Unternehmen die großen Herausforderungen annehmen, Prozesse zu vereinfachen.“

Rund 80 Prozent der „Creatoren“, so nennt Zuschlag die Bastler einer App, benutzen die SmapOne-Plattform, auf der sie alles für den Betrieb ihrer Anwendung angeboten bekommen. Ein Drittsystem sei nicht nötig. Die anderen 20 Prozent laufen über integrative Systeme bei Kundenfirmen über offene Schnittstellen, die ihre Stammdaten und -prozesse einbeziehen müssen, wenn es etwa um Inventuren geht. Das Start-Up aus Ulm adressiert nicht Privatpersonen. Das Geschäftsmodell ist B2B, also für Unternehmen. Die können über das Abo-Modell Software as a Service (SaaS) die Grundinfrastruktur für ihre Mitarbeitenden bereitstellen. Die Kosten betragen 26 Euro je Nutzer (bei kleinen Anwenderzahlen) und sinken bis auf 5 Euro bei großen Nutzergruppen. Für den einzelnen ist es dann egal, wie viele Apps er baut und anwendet. Wohnungskonzern Vonovia, die Logistik-Gruppen Dachser und Rhenag, Clariant sowie Wittmann gehören zu den Kunden.

                                                  Thomas Schwarz

Im Jahr 2021 sind so rund 1500 neue Creatoren hinzugekommen, wurden etwa 100.000 neue Apps erstellt. Durch die Anwendungen seien bislang schätzungsweise sechs Millionen Stunden an Prozesszeiten eingespart worden, rechnet Zuschlag vor. Nur ein Jahr nach Gründung ist smapOne - abgekürzt aus „Smart Mobile Application Portal" - mit zehn Mitarbeitern an den Markt gegangen; derzeit sind es 100 Beschäftigte, bis Ende dieses Jahres sollen es mindestens 140 sein. Der Trend zum Selbstbau in der IT-Programmierung zeichnet sich schon länger ab, gewinnt jedoch deutlich an Dynamik. Dabei ist die „Demokratisierung“ in der IT-Systemwelt nur ein Aspekt; nämlich die Abneigung vieler Menschen gegenüber der immer noch schwer zu verstehenden IT zu überbrücken und ihnen die Arbeit mit ihr zu vereinfachen. Vielen graut es, wenn sie an Computer, Tablet und Smartphone ein Update vornehmen müssen, wagen sich kaum daran, ein Virenschutz-Programm aufzuspielen. „Nicht jeder kann nun mal SAP, und doch müssen die Leute damit arbeiten“, sagt Zuschlag.

96.000 Programmierer fehlen

Ein viel graviernderes Problem, das die Unternehmen umtreibt, ist der chronische Mangel an IT-Experten und Programmierern, die für die rasant voran schreitende Digitalisierung benötigt werden. Nach einer Studie des Branchenverbandes Bitkom von Januar sind vor allem im deutschen Mittelstand 96.000 IT-Stellen unbesetzt. Hinzu kommt, dass große IT-Projekte nicht nur teuer sind, sondern auch viel Zeit im Entstehen benötigen. Die ist nicht unbedingt immer vorhanden. „Nicht große Unternehmen haben Erfiolg, es kommt auf die Schnelligkeit an, um sich rechtzeitig veränderten Umfeldbedingungen anzupassen.“ Kunden verlangten schnelle Lösungen. 

Mit „Low Code“, für die gewisse IT-Kenntnisse erforderlich sind, hat es angefangen; gewissermaßen die Vorstufe des „No Code“, der keine Erfahrung verlangt. Und wieder verwendet Zuschlag sein beliebtes Beispiel der Bauklötze dänischer Provenienz: „smapOne ist so etwas wie Lego Duplo für Fünfjährige, Low Code ist wie Lego Technik für 14-jährige.“ Der Siemens-Konzern hatte den richtigen Riecher und erwarb 2018 das amerikanisch-niederländische Software-Start-Up Mendix. Die bietet eine Low-Code-Plattform an, mit der nicht nur die Mitarbeiter von Siemens, sondern auch dessen Industriekunden einfach, flexibel und schnell eigene Programme erstellen können (Siehe auch: „Mendix-Gründer Derek Roos - Ahnungslos erfolgreich“ vom 9. Oktober 2020 https://www.passion4tech.de/blog/mendix-gründer-derek-roos-ahnungslos-erfolgreich). Allerdings handelt es sich da um komplexere Prozesse, Apps zu bauen. Was für ein Markt dahinter steht, zeigt der damals gezahlte stolze Kaufpreis von 630 Millionen Euro. Auch Mendix-Gründer Derek Roos spricht von der notwendigen Demokratisierung in der Software-Welt; für Menschen, die dort nicht zu Hause sind.

Der 46 Jahre alte Betriebswirt Zuschlag wird in seiner Mission philosophisch. „Wir haben das Spielen verlernt.“ Die Erwachsenen täten sich schwer damit, erst recht im geschäftlichen Umfeld. „Eine spielerische Gesellschaft aber erzielt Fortschritte“, ist er überzeugt. Denn: Im Spiel lerne man Interaktion, erkenne Ursachen und Wirkungen, löse man Probleme, entstehe Wettbewerb, motiviere, würden Fähigkeiten auf- und ausgebaut. Mehr noch: Durch Elemente wie smapOne eröffneten sich Weiterbildungschancen, „Upskilling“, wie er sagt. Am Ende mache die Arbeit nicht nur mehr Spaß, der Arbeitsplatz werde auch sicherer, ergäben sich Karrierechancen. Zuschlag spricht vom „Stolz-Effekt“, wenn jemand Kollegen oder Vorgesetzten eine selbst entwickelte App vorzeigt, die die Arbeit effektiver macht. 

All die Formen der Kreativprozesse hat der Gründer einst bei Microsoft vermisst. Der Software-Konzern wurde zu seiner Zeit - für amerikanische Konzerne durchaus üblich - zentral vom Hauptsitz Redmond in den USA gesteuert, hat es viele fest strukturierte Abläufe mit begrenzten Spielräumen gegeben. Als „Kreativer“, „Macher“ und „Stratege“ sei er immer wieder mit Ideen gegen die Wand gelaufen. Ihn habe das Unternehmertum gepackt. Mehr als vier Jahre war er bei Microsoft Deutschland in München, zuletzt als Vertriebsleiter. Seinen Bachelor-Abschluss als Betriebswirt machte er 1998 an der DHBW Duale Hochschule Baden-Württremberg Villingen-Schwenningen. Beim Luftfahrtunternehmen Dornier vor den Toren Münchens begann er als Netzwerkadministrator, arbeitete später für ein Systemhaus und eignete sich so seine IT-Fähigkeiten an.

Zwei, die sich nicht gesucht haben

Thomas Schwarz, 48 Jahre, hat Zuschlag geschäftlich auf einer Microsoft-Partnermesse in New York getroffen . Beide haben bei Microsoft gemeinsam an einem Projekt gearbeitet. „Da sind zwei zusammen gekommen, die sich nicht gesucht, aber gefunden haben.“ Zuschlag suchte eher eine Sparringspartner, mit dem er seine Gründungsidee besprechen wollte; ob die überhaupt technologisch relevant sei, wie er sagt. Es ging nicht darum, ihn als Partner zu gewinnen.„Sensationell, dass daraus ein Unternehmen entstanden ist.“ Schwarz hat schließlich das Konzept entworfen. Im Januar 2014 entschieden sie: „Jetzt springen wir.“ Im Mai 2014 gründeten sie smapOne. Beide ergänzen sich. „Ich schaue mir das Auto von Außen an, Thomas guckt unter die Haube und macht sich schmutzig“, lacht Zuschlag, der smapOne-Vorstandsvorsitzender ist. Technologiechef Schwarz sei der Kopf des Unternehmens. „Er ist der intelligentere von uns beiden“, gibt der CEO unumwunden zu. Schwarz hat in Tübingen und an der TU Berlin Medienberatung studiert und begann nach dem Abschluss 1998 in einem größeren IT-Beratungshaus.

Sie haben einen Trend rechtzeitig erkannt. Die sich nun entfaltende Dynamik in einem damals noch neuen Markt kommt in den Prognosen von Sven Zuschlag zum Ausdruck, der über die nächsten zehn Jahre ein jährliches Wachstum für No-Code-Angebote von 40 bis 50 Prozent erwartet. Immer mehr Unternehmen vor allem aus der Start-Up-Szene wie Appful oder Necara bieten Programme an, wenn auch in bestimmten Schwerpunktbereichen und nicht so breit aufgestellt wie smapOne. Zu den größten Anbietern im Low-Code-Segment gehören neben Mendix auch Kony aus den USA, wie es viele Unternehmen in den Vereinigten Staaten in diesem Segment gibt.

                         Thomas Müller: smapOne-Investor mit neuem Vertrag beim FCB Foto FC Bayern 

Es ist vor allem der Gedanke der Demokratisierung in der Programmierwelt gewesen, der Mitte 2021 Thomas Müller zum Investor von smapOne werden ließ. Der Stammspieler des FC Bayern München und Nationalspieler ist durch die Vermittlung der Münchner Investorengemeinschaft Nordwind Capital eingestiegen und hat sich mit dem Start-Up beschäftigt - nicht nur mit der Teilnahme an der Weihnachtsfeier. Hinter der Beteiligungsfirma Nordwind stecken bekannte Wirtschaftsgrößen wie Paul Achleitner (bis 19. Mai Aufsichtsratsvorsitzender Deutsche Bank), Peter Löscher (ehemaliger Siemens-Chef), Olaf Berlien (einst Osram) und Achim Berg (Bitkom-Präsident). Nordwind ist mit 20 Millionen Euro in das Start-Up eingestiegen, nachdem es 2014 mit einer Seed-Finanzierung von immerhin 1,7 Millionen Euro zu den hoch bewerteten Neugründungen damals gehört hatte. In einer Serie-A-Runde investierte später der Magdeburger Energiedienstleister Getec 6 Millionen, der mit dem Nordwind-Investment ausgestiegen ist.

smapOne wurde eigentlich in München gegründet. Da aber das Anheuern von Experten in der Region teuer war, wenn man überhaupt welche bekommen hätte, zog es Zuschlag und Schwarz nach Dresden, wo sie es aufbauten. Sie errichteten in Hannover mit Fördermitteln eine zweite Dependance und steuern nun von Ulm aus die hochlaufende Wachstumsphase. Alle drei Standort bestehen noch. Das von Nordwind eingesammelte Kapital dient der Skalierung des Geschäfts mit seinem „exponentiellen Wachstum“, wie Zuschlag sagt; in Mitarbeiter, vor allem Entwickler, aber auch in das Marketing. Bislang erzielte er 90 Prozent der Geschäfte in den Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz. Nun geht das Unternehmen nach Großbritannien und in die skandinavischen Länder.

Microsoft als strategischer Partner

Zuschlag will ein deutlich größeres Rad drehen, das mit dem Einstieg von Nordwind möglich wird - und über die gerade vereinbarte strategische Partnerschaft mit Microsoft, die noch einmal Absatzkanäle öffnet. MS bietet bereits mit der Microsoft Power Platform Low-Code- und Unternehmensprogramme an, die sich mit dem No-Code-Konzept von smapOne ergänzen. Ziel ist ein umfassendes Angebot insbesondere für den Mittelstand, um so gegen den Fachkräftemangel anzukämpfen. Der Bedarf an Business-Anwendungen wächst nach den Worten von Zuschlag fünf Mal schneller, als IT-Fachleute diesen decken könnten. Diese „App-Lücke“, die mit der schnell wachsenden Nachfrage nach individuellen Lösungen noch größer zu werden droht, könnte so zumindest verkleinert werden. Der Energieversorger und -dienstleiter Bayernwerk Netz ist die erste Referenz für die enge Kooperation und hat das System dieses „Werkzeugkastens für alle Unternehmensprozesse“ bereits umgesetzt. Die Zusammenarbeit mit Microsoft biete smapOne viel Potential und wesentlich mehr Visibilität. 

Damit gibt es allerdings auch eine starke Rückendeckung. Ob sich die Amerikaner das Start-Up einmal einverleiben könnten, will und kann Zuschlag nicht sagen. Mit der Allianz jedoch hat er für sein Geschäftsmodell einen starken Partner gefunden, der ihm auch den Rücken freihält. Denn große Tech-Unternehmen ziehen es vor, sich Technologie in solchen Spezialgebieten zuzukaufen, statt sie selber zu entwickeln. So ist es mit der von Siemens aufgekauften Mendix geschehen, die aber immerhin Unmögliches geschafft und unter eigenem Namen eine für den Münchner Technologiekonzern ungewöhnliche große Unabhängigkeit bewahrt hat. Vor einem Jahr kaufte SAP den finnischen No-Code-Anbieter AppGuyver. Google und Salesforce schauen sich den Markt an. Durch die Partnerschaft mit MS kann sich Zuschlag Allüren anderer zunächst vom Hals halten. „Natürlich bin ich nicht blind und sehe, wie sich die Märkte konsolidieren.“  Zwischen den Zeilen ist herauszuhören, dass eine Konzernzugehörigkeit für ihn nur schwer vorstellbar ist und Unwohlsein verursacht. Er sei ja mehr der Gallier Asterix, der so gerne die Römer aufmische, grinst er. Wobei: Die Mendix-Story scheint er schon cool zu finden.

Webseite smapOne https://www.smapone.com

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