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09 Oct
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Derek Roos ist alles andere als ein Techie. Der 41 Jahre alte Niederländer ist Betriebswirt. Das zeichnet ihn als Gründer und Vorstandsvorsitzenden des Software-Unternehmens Mendix aus. "Ich bin kein Programmierer", bekennt er sich ohne Scham in der heute dominierenden digitalen Welt. Seine Programmierkenntnisse seien auch mit der Zeit nicht besser geworden. Doch diese Unfähigkeit befähigt ihn zum Qualitätsmanager.

9. Oktober 2020 - Von Rüdiger Köhn, München

"Wenn ich unsere Produkte nutzen kann, dann sind sie gut, werden ein Erfolg und können von vielen angewendet werden." Und es gebe viele "Non-Techies" auf der Welt, lacht er. Ein Ahnungsloser in Sachen IT musste kommen, um Menschen die Angst vor Software und Progammierung zu nehmen, sie spielerisch-entkrampft an die fremde Welt der Sprache in Einsen und Nullen heranzuführen. 

Laien programmieren Apps

Mit Mendix können Mitarbeiter ohne Programmierkenntnisse Unternehmenssoftware entwickeln und eigene Apps mit standardisierten Softwarebausteinen, einfachen Werkzeuge und Assistenten am Computer entwerfen. Künstliche Intelligenz hilft ihnen, Schritt für Schritt ein Programm zu entwickeln. Das, was Roos geschaffen hat, heißt im Fachjargon "Low Code". Der noch junge Markt werde erst seit drei Jahren richtig wahrgenommen, sagt Roos. Und das größte Wachstum stehe noch bevor. Er sieht Mendix als führend im Markt. Es schreckt ihn nicht, dass Digitech-Giganten wie Amazon, Microsoft, Oracle oder Salesforce nun mitmischen.Siemens sah sich vor zwei Jahren auf den Plan gerufen.


Der Technologiekonzern hat Roos 2018 sein Unternehmen für beachtliche 630 Millionen Euro abgekauft. Die Software soll für Siemens ein wichtiger Baustein sein, um beschleunigt die Märkte in der digitalen Vernetzung in der Produktion und in der Infrastruktur aufzurollen. 

Mendix bleibt eigenständig

Die Münchner ist das so viel wert, dass Mendix viel Unabhängigkeit eingeräumt wird, für Roos ein essentielles Element seines Erfolges. Derlei Konzilianz wird nicht oft am Münchner Wittelsbacherplatz gezeigt. "Beiden Seiten war klar: Wenn wir das Maximum aus der Kombination Siemens/Mendix herausholen wollen, müssen wir anders vorgehen; daher ist das Unternehmen eigenständig, und ich bin nach wie vor im Geschäft." 

Nebenher bietet Mendix die Technologie vielen Unternehmen an; sei es aus der Autoindustrie, Logistik, in der Medizin, in der Luftfahrt, im Maschinenbau oder in der Finanzbranche.Low-Code-Anwender werden "Citizen Developer" oder "zivile Entwickler" genannt. Derek Roos spricht gerne von einer "Demokratisierung des Programmierens", das für jeden zugänglich gemacht werde. Jeder könne Ideen oder Prototypen digitaler Produkte entwickeln, sie ausprobieren, unabhängig von Hierarchien und Zuständigkeiten. Das Beste ist: Eingebaute Sicherheitsplanken verhindern, dass "Citizen Developer" Schaden anrichten.

So toben sich Mitarbeiter des Autozulieferers Contintental aus,Unternehmenssoftware zu aktualisieren. In der niederländischen Rabobank haben Beschäftigte in wenigen Monaten ein Online-Portal entwickelt, das 18 Milliarden Vermögen von 500 000 Nutzern verwaltet. ABN Amro Bank hat so eine Flut von 200 Apps für Kunden entwickelt. Versicherungen wie Zurich erneuern behäbige IT-Systeme, um nutzerfreundliche Kundenportale anzubieten. Kunden bekommen Zugang zu Schadenregulierung und Versicherungsunterlagen oder können Dokumente hochladen. Eine Agrar-App nutzt Künstliche Intelligenz, um die Zuckerrüben-Ernte zu optimieren und den Einsatz von Pestiziden zu verringern.

Offene Plattform

"Leute aus den verschiedenen Fachabteilungen verstehen die Probleme doch viel besser", zeichnet Roos den Unterschied zu reinen Programmierern. "Deshalb ist es doch gut, wenn sie direkt an deren Lösung mitarbeiten können und nicht erst alles erklären müssen." Mendix mache die Übersetzungen von der Geschäftswelt in die IT-Denke überflüssig, so gebe es auf der Plattform eine gemeinsame Sprache. Fremdeln tun die professionellen Software-Entwickler damit nicht, sie nutzen Mendix selbst.

Die Plattform ist offen. Rund zehn Millionen Nutzer wenden sie wöchentlich an. Das Geschäftsmodell besteht aus dem Angebot von Abonnements, die wiederkehrende Umsätze von mehr als 100 Millionen Euro im Jahr einbringen.

Neben ihrem Studium haben Roos und sein Freund Derckjan Kruit als Vertriebler für ein kleines Software-Unternehmen gejobbt. Sie seien "Übersetzer" für die Programmierer gewesen, die Kundenaufträge für IT-Anwendungen erklärten. Am Ende kamen nach monatelangen Arbeiten und Diskussionen meist unbefriedigende Lösungen heraus. Das frustrierte die Kunden - und Roos. Kumpel Kruit holte seinen Informationstechnik studierenden Bruder Roald dazu.


Fotos Mendix


Mit 15 Jahren das Leben in die Hand genommen

Die drei beschlossen im Rotterdamer Café Dudok, Menschen die Entwicklung von Software ohne Programmierkenntnisse zu ermöglichen.An Entschlossenheit und Risikobereitschaft mangelte es dem Niederländer nie. Mit 15 Jahren hat er sein Leben in die Hand genommen, ließ die Eltern nach Florida ziehen, wo der Vater ein eigenes Unternehmen aufbaute. Roos gefiel es, als Schüler in der Heimat zu bleiben, und suchte sich ein Internat. 

Was nicht bedeutete, dass er eine Abneigung gegen Amerika hatte. Im Gegenteil: Er ist vernarrt in das Land, besuchte die Eltern, so oft es ging. Sieben Jahre nach Gründung von Mendix zog er mit dem Unternehmen von Rotterdam nach Boston, wo er im größten Software-Markt der Welt bessere Chancen gesehen hat. Der Sitz ist noch dort. Anfang des Jahres - vor dem Lockdown - bezog er in der niederländischen Hafenstadt wieder Quartier, die von Siemens in München einfacher zu erreichen ist. 

Mit seiner Philosophie ist er in Amerika besser zurechtgekommen: Abenteuer suchen, Risiken eingehen und dafür unabhängig sein. Die Startbedingungen waren besser. Low Code gab es damals nämlich noch nicht. "Als das Unternehmen gegründet wurde, stießen wir auf viel Skepsis", erinnert sich Roos. "Zu gut, um wahr zu sein; klingt großartig, hieß es immer; aber das sei schlicht nicht machbar, schallte es uns entgegen", sagt er. Hart ging es zu, manchmal war auch die Pleite nahe. "Heute sehen wir: Es ist machbar. Low Code wird zum neuen Standard in der Automatisierung von Prozessen und der Entwicklung von Anwendungen." 

Neue Software zehn bis zwanzig Mal schneller entwickeln

IT-Abteilungen kommen mit dem Programmieren neuer Software nicht nach. Es gibt nicht genügend Entwickler, die Zyklen werden immer kürzer. "Unser Ziel ist es deshalb, die Entwicklung für neue Software um das Zehn- bis Zwanzigfache zu beschleunigen." Mit der Plattform könnten Entwickler nicht nur schneller arbeiten, man beteilige auch Leute, die bisher keine IT-Experten seien. 

Womit Siemens wieder ins Spiel kommt. "Der Konzern hat eine riesige Basis an Ingenieuren, die in Modellen und Strukturen denken, aber keine Programmierer sind", stellt Roos fest. Die könnten nun selbst geeignete IT-Infrastrukturen bauen.Lange hat sich Roos mit der Idee getragen, auch spezielle Industrielösungen anzubieten. Siemens hat nicht nur Geld dafür bereitgestellt, sondern auch das Projekt beschleunigt, da Mendix auf Patente zurückgreifen kann. "Es ist nicht immer nur Sache des Geldes." 

Ein Milliarden-Dollar-Unternehmen

Siemens verschaffe Zugang zu wichtigen Märkten. Ein Milliarden-Dollar-Unternehmen soll Mendix so in fünf Jahren werden, bezogen auf den Umsatz. "Wir hatten schon immer diesen Ehrgeiz. Mit Siemens jedoch haben wir nun einen konkreten Plan, und den können wir umsetzen."Roos hat in einem Konzern eine Vorreiterrolle gefunden, dessen neuer Vorstandschef Roland Busch Wert auf strategische Kooperationen mit SAP und Salesforce sowie auf Bündnisse ohne Gängelband setzt. "Geht es um Umbrüche und Disruption, ist das der Weg, wie man Synergien nutzen und gleichzeitig voneinander lernen kann", sagt Roos.

Derek Roos hat es geschafft: Idee gehabt und sie umgesetzt; ein Geschäftsmodell entwickelt, das erfolgreich ist - und ihm viel Geld eingebracht hat. Er hat verkauft. Man könnte meinen, das ist es, der Kreis hat sich geschlossen, indem er sein Start-Up monetarisiert hat. Doch er hält fest, will sein eigener Herr bleiben. Es mutet wie ein Abenteuer an, das in einem Konzernapparat wie Siemens tatsächlich durchzuziehen.

Keine Zeit für den Mount Everest

Er geht ein Risiko ein, wusste er damals mit dem Verkauf an die Deutschen. Abenteuer und Risiken bleiben sein Ding, auch wenn sie - dem Alter geschuldet - berechenbarer scheinen; im Geschäft wie im Privaten. Klettern in den Bergen, das veruscht er mindesten zweimal im Jahr; so hoch wie möglich, mit Zelt im Schnee, Steigeisen und all der notwendigen Ausrüstung für eine echte Tour. Nicht wandern in den Bergen. Es muss für ihn ganz nach oben gehen.

Sogar an das Besteigen des Mount Everest hat er öfters gedacht. Doch dafür fehlt die Zeit. Ihn reizt die Herausforderung, nicht zu wissen, was alles kommen mag. Es bestehe immer die Gefahr, dass etwas schief geht, sagt er. Doch er glaubt an das Positive. Wenn alles gut durchdacht und geplant sowie vorbereitet ist, fällt er nicht in eine Felspalte oder eine Schlucht. Und gibt es Probleme, findet er eine Lösung, ist er überzeugt. 

Draufgänger oder rücksichtslos ist er nicht. Ganz Unternehmer der soliden Truppe, geht er nur kalkulierte Risiken ein. Und schließlich hat er drei Töchter. Er sei mal Fallschrim gesprungen - un fand es furchtbar, da er womöglich nicht alles unter Kontrolle hat, wenn er aus dem Flugzeug springt. Nicht auszudenken, er zieht die Schnur vom Fallschirm und der öffnet sich nicht. Schon gar nicht will er an Bungee Jumping denken. Das sei nicht sein Ding.

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