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15 Apr
15Apr

Der Flug zum Einsatzort dauert nur wenige Minuten. Der Defibrillator wird zum Boden abgeseilt. Ein Laienhelfer kann so schnell den Patienten mit Herz-Kreislaufstillstand behandeln; noch bevor der Rettungswagen eintrifft. 

15. April 2021

Das ist kein Einsatzszenario für den Rettungshubschrauber der Gelben Engel vom ADAC. Eine unbemannte, elektrisch betriebene, senkrechtstartende Drohne übernimmt die lebensrettende Aufgabe. Das Konzept für die medizinische Mission eines „eVTOL“ (electric Vertical Takeoff and Landing) entwickeln 58 Studenten der Technischen Universität München (TUM) mit dem Bau der Drohne „Mission Pulse“. Sie haben sich zu einer Initiative zusammengeschlossen und sich den Namen Horyzn gegeben. 

                                                                                                                                                                          Fotos Horyzn

Sie kommen aus 21 Nationen und studieren etwa an sechs Lehrstühlen der neu gegründeten Fakultät für Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie. Aber auch Chemiker, Physiker, Maschinenbauer, Informatiker oder Betriebswirte, ja sogar eine Design-Architektin sind dabei. Horyzn stößt auf so großes Interesse, dass sich die Zahl der Mitglieder in nur sechs Monaten verdoppelt hat.

In diesem und nächsten Jahr setzen sie in einem konkreten Anwendungsfall das um, was sie seit ihrer Gründung im November 2019 mit dem Bau eines Prototypen namens „Silencio Gamma“ umgesetzt haben (siehe auch: Horyzn - der Senkrechtstarter der TUM-ler vom 31. Oktober 2020). Mit dem nahmen sie erfolgreich im Oktober 2020 nach weniger als zwölf Monaten Entwicklungsarbeit an einem internationalen Drohnen-Wettbewerb - dem New Flying Competition der Hamburger Universität für angewandte Wissenschaften - teil. Horyzn trat gegen sechs konkurrierende Gruppen an und belegte den dritten Platz. Das ist als Erfolg zu werten. Denn nur wenige Tage vor dem Wettbewerb stürtzte "Silencio Gamma" in Hamburg bei Flugübungen ab. Dem Team gelang es zu improvisieren und zu reparieren und den Prototypen wieder startklar zu machen.

                         Balázs Nagy

Jetzt hat die Gruppe ihr Konzept Mission Pulse vorgestellt. Die Drohne soll in fünf Minuten in einem Umkreis von sechs Kilometer zum Einsatzort fliegenl, schwebt über ihm, lässt den Defibrillator herab, um dann an einem anderen geeigneten Platz in der Nähe zu landen. Gesteuert wird das unbemannte Fluggerät von einem Piloten aus der Ferne, was später einmal so etwas wie eine Flug- und Schaltzentrale sein könnte. Der ein halbes Kilogramm schwere Defibrillator, wie man ihn heute an öffentlichen Plätzen oder in Supermärkten findet, ist nahezu von jedem zu bedienen.

„Tritt der Notfall ein, geht es um jede Sekunde“, sagt Balázs Nagy, Student der Luft- und Raumfahrttechnik, Initiator sowie Leiter von Horyzn. Die Anfahrt eines Rettungswagen dauere vom Notruf bis zum Eintreffen im Durchschnitt neun Minuten. „Verkürzt man die Zeit auf vier Minuten, verdreifacht sich die Überlebenschance.“ 

Rund 75.000 Personen erleiden im Jahr einen Herz-Kreislaufstillstand, nur 11 Prozent überleben einen solchen Ernstfall. Für eine Drohne gibt es keinen Straßenverkehr, keine Ampeln; sie überfliegt einfach die Verkehrsstaus einfach.Wichtig ist Balász: „Mit dem medizinischen Anwendungsfall wollen wir positiv zur gesellschaftlichen Debatte um den Einsatz ziviler Drohnen beitragen.“ Seine Hoffnung ist groß, dass Horyzn der erste „eVTOL-Difibrillator-Transport Deutschlands“ ist.

Der Flug unbemannter Transportdrohnen außerhalb der Sichtweite eines Piloten - also die Fernsteuerung - ist durch neue gesetzliche Regelungen und Richtlinien der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) über besiedeltem Gebiet seit diesem Jahr möglich. Flugsicherheit hat für die Studenten höchste Priorität, weshalb ein großer Teil ihrer Arbeit darauf gerichtet ist. Schwerpunkte sind unter anderem redundante Antriebe, Flugregler, Einbindung von künstlicher Intelligenz zur Unterstützung des Piloten oder ein Verkehrsmanagementsystem, um Kollisionen mit anderen Fluggeräten am Himmel zu vermeiden.

Im Sommer soll das endgültige Konzept stehen, im Herbst auch autonomes Fliegen getestet werden. Im Dezember wird der erste Prototyp nach dem jetzigen Zeitplan vorgestellt. Für den Herbst 2022 hofft Balázs auf den Erhalt der Fluggenehmigung und auf erste simulierte Einsätze unter Realbedingungen.

Vorgänger Silencio Gamma ist mit einer Länge von 1,95 Meter und einer Spannweite von 3,60 Meter rund 13 Kilogramm leicht, da er weitgehend aus Carbon besteh. Er ist ausgestattet mit vier Vertikalrotoren und zwei Horizontalpropellern. Mission Pulse wird sogar etwas größer und mit acht Vertikalrotoren sowie zwei Propeller für den Reiseflug ausgerüstet sein. Statt 72 Kilometer in der Stunde Geschwindigkeit des ersten Modells und 50 Kilometer Reichweite wird die Defibrillator-Drohne gar bis zu 125 Kilometer schnell sein und soll eine Reichweite von etwa 15 Kilometer haben (6 Kilometer hin und zurück plus Reserve).

Das Konzept unterscheidet sich von den Multicopter-Drohnen deutlich, die mit dem Hubschrauber-Prinzip deutlich langsamer sind. Mit den Defibrillatoren gibt es ein erstes in der Umsetzung befindliches Beispiel für Transporte, die eine solche Drohne durchführen kann. Denkbar ist für die Studenten später auch einmal die Beförderung von Medikamenten, Organen, Blutspenden oder Dokumenten.

Horyzn hat sich eigentlich das Projekt der Studenten-Initiative TUM Hyperloop zum Vorbild genommen, die eine Kabine (Pod) für das Tunnel-Transportsystem mit Schallgeschwindigkeit namens Hyperloop entwickelt und alle vier internationale Wettbewerbe von Tesla- und SpaceX-Gründer Elon Musk gewonnen hat. Im Gegensatz zu diesem weit in der Ferne liegenden Zukunftsprojekt kann das Team Horyzn sehr viel schneller und konkreter Vorhaben für den Alltag umsetzen. 

Dementsprechend steht es schon im Kontakt mit Interessenten und potentiellen Partnern, die Mission Pulse in die Realität anwenden könnten. Namen will Balázs nicht nennen, da die Gespräche noch nicht abgeschlossen sind. Zu den aktuellen Sponsoren von Horyzn gehören Camilo Dornier als einer der Erben der Flugzeugbauer-Dynastie sowie der Elektrojet-Entwickler Lilium, Drohnenhersteller Quantum Systems, der Sensor- und Radartechnikproduzent Hensoldt, der Triebwerksbauer MTU oder auch Autovermieter Hertz.

                         Erster Scratch von der Defib-Drohne

Links zu Horyzn:

Frontpage: https://horyzn.org/?customize_changeset_uuid=02b96052-99d1-42d6-bc07-7da37f5b476b

Mission Pulse:

https://horyzn.org/mission-pulse/?customize_changeset_uuid=02b96052-99d1-42d6-bc07-7da37f5b476b

Team:

https://horyzn.org/team/?customize_changeset_uuid=02b96052-99d1-42d6-bc07-7da37f5b476b<

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