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26 Jan
26Jan

Greg Jackson entfaltet in seinen launigen Vorträgen einen Enthusiasmus, den sein Geschäft streng genommen nicht verdient. Zumindest den meisten Konsumenten geht dieser völlig ab. Das vom Briten propagierte Produkt ist für deren Alltag trotz lebenswichtiger Bedeutung die größte Selbstverständlichkeit - und stinklangweilig. 

26. Januar 2021 

"Man kann es nicht einmal sehen", konzediert Jackson sogar. Und doch ist er so überzeugt: "Strom ist nicht langweilig, sondern aufregend." Das gelte besonders früh am Morgen, sagt der 49 Jahre alte, im niedersächsischen Rinteln geborene Mann: "Wenn jemand aufsteht und das Licht anschaltet, ist das doch aufregend, oder?"

                                                                                                                                                      Fotos Octopus Energy

Der Gründer und Vorstandsvorsitzende der britischen Octopus Energy kann sich, sein Unternehmen und sogar das so langweile Allerweltsprodukt aus der Steckdose gut verkaufen. Octopus hat sich in Großbritannien mit seinem Geschäftsmodell eines jederzeit kündbaren Stromliefervertrags mit Festtarif zum Enfant terrible in der Strombranche entwickelt. Seit Marktstart Anfang 2016, also in viereinhalb Jahren, hat das Unternehmen mehr als 1,8 Millionen Kunden gewonnen und einen Marktanteil von 7,5 Prozent erobert. "Das", sagt Jackson grinsend, "haben wir aus dem Nichts erreicht." Und das spornt Jackson noch mehr an. Er will einen verkrusteten, weitgehend regulierten Markt, der irgendwie von Dinosauriern des Geschäfts beherrscht ist, aufmischen.

Seit November läuft die Offensive in Deutschland

Im Frühjahr 2020 wagte er sich nach Australien, vor fast einem halben Jahr in die Vereinigten Staaten und im November auf den wichtigsten und wegen seiner hohen Preise attraktivsten Strommarkt in Europa - nach Deutschland. Die Bundesrepublik soll zum Brückenkopf für die Eroberung des Kontinents werden.

So atem-, rast- und schnörkellos er redet, so dynamisch rollt er Octopus über den Globus aus. Anfang dieses Jahres nimmt er sich schon Asien vor. Mit dem führenden japanischen Energieversorger Tokyo Gas hat er eine strategische Kooperation vereinbart, um Octopus in Japan einzuführen. Nach dessen Finanzspritze von 250 Millionen Dollar ist das Start-Up nun mit 2,1 Milliarden Dollar bewertet.

In Deutschland ist der Markteintritt etliche Nummern kleiner erfolgt. Jackson hat 2019 den jungen, weitgehend unbekannten Stromverkäufer "4hundred" am Starnberger See mit 30 Mitarbeitern im Jahr erworben. Das nun in Octopus Energy Germany umbenannte Unternehmen hat die Tür für den stark regulierten deutschen Markt geöffnet und ist bereits vom TÜV Süd als Anbieter von Strom aus erneuerbaren Energien zertifiziert.

Transparente Verträge, jederzeit kündbar

Das Konzept von Jackson ist simpel, derzeit aber eher unüblich: nämlich grünen Strom zu transparenten Preisen anzubieten, ohne Trickserien mit Einstiegsrabatten, die Strompreise optisch billig erscheinen lassen. Es gibt nur einen Preis, von Anfang an. Der fällt mit Beginn der Vertragslaufzeit höher aus, besonders gegenüber den rabattierten Lockangeboten anderer Anbieter, die nach sechs Monaten oder einem Jahr wegfallen - worauf dann die Preise kräftig steigen. Genauso wichtig: "Niemand soll an einen Vertrag mit langer Laufzeit gebunden sein, jeder Kunde kann zu jeder Zeit aussteigen, sollten wir seinen Ansprüchen nicht gerecht werden." 

In Großbritannien ist dieses Konzept aufgegangen. "Es ist doch verrückt, mit der Energie eine so wichtige Branche zu haben, die so maßgeblich die Lebensqualität bestimmt, deren Kunden aber nicht fair behandelt werden." Der britische Humor des Octopus-Gründers driftet plötzlich in einen ernsten, geradezu missionarischen Ton ab. Immer mehr Menschen würden sich doch darüber bewusst werden, welchen Einfluss Energie auf das Klima habe. Soll heißen: Jeder Stromnutzer könne die Energiewende mittragen - und auch Verantwortung dafür übernehmen. 

"Der Markt ist fällig für dramatische Umbrüche in der nächsten Dekade, wie es sie in den vergangenen hundert Jahren nicht gegeben hat." Die etablierten Anbieter müssten sich neu aufstellen und reformieren. Neue Unternehmen wie Octopus entstünden, die mit Innovationen den Markt prägten - und zwar in einer Weise, wie man es sich heute noch gar nicht vorstellen könne. Und sehr wahrscheinlich geraten die Preise unter Druck. Von Dinosauriern, die die Energiebranche beherrschen, will Jackson nicht sprechen. Das sind für ihn "unglaublich beeindruckende Organisationen". Er lässt aber durchblicken, dass der Markt nicht gut funktioniert und die Großen dafür verantwortlich sind. Die Etablierten würden unflexibel sein und Defizite in der Digitalisierung haben, weil sie durch die Regulierung geschützt seien. 


Der Brite setzt unter anderem auf die rund 30 Prozent der deutschen Stromverbraucher, die noch nie den Anbieter gewechselt haben, obwohl der hiesige Markt der teuerste in Europa ist. Der Kunde müsse die Freiheit haben, jederzeit wechseln zu können. "Unser Job ist es, dass er sich dabei nicht quälen darf", tönt es aus Jackson raus. Bis zum Jahr 2024 will Octopus so in Deutschland eine Million Haushalte als Kunden gewinnen. Das würde einem Marktanteil von 2,5 Prozent entsprechen. Doch Jackson fürchtet, dass die hohen Strompreise die Kunden bremsen, auf saubere Technologien wie E-Mobilität oder Wärmepumpen umzusteigen. 

Octopus bietet Grünstromtarife für neue Nutzerprofile an. Besitzern von Elektroautos, die sich derzeit mit hohen Preisen arrangieren müssen, soll durch spezielle Tarife der Zugang zu günstigem Ökostrom ermöglicht werden. Die ambitionierten Pläne werden durch Investitionen von zunächst 80 Millionen Euro begleitet. "Wenn wir erfolgreich sind, investieren wir weiter", kündigt er an. Und es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, wann Jackson diese Offensive in anderen europäischen Märkten wie Frankreich, Spanien oder Italien fortsetzt.

Cloudbasierte Technologieplattform "Kraken"

Basis des Erfolgs von Octopus ist die vor der Gründung von Jackson entwickelte Technologieplattform "Kraken". Cloudbasiert automatisiert sie mit Künstlicher Intelligenz die Energieversorgungskette, optimiert den Stromeinkauf und verursacht nur geringe Kosten. Dies funktioniert so gut, dass die attackierten britischen Konkurrenten wie Good Energy oder Eon Energy UK per Lizenz die Plattform mitnutzen. Berührungsängste gibt es für Jackson nicht: "Konkurriere im Markt, kooperiere in der Technologie."

Erst im Mai ist der australische Energieversorger Origin Energy, der "Kraken" ebenfalls nutzt, mit einer Finanzbeteiligung von mehr als 400 Millionen Dollar ein strategisches Engagement eingegangen und hält 20 Prozent. Nun hat Tokyo Gas mit eingezahlten 250 Millionen Dollar knapp 12 Prozent erworben. Mehrheitseigner ist immer noch Jackson mit seiner Beteiligungsgesellschaft Octopus Capital. In der befinden sich andere von ihm gegründete Unternehmen sowie Anteile an Technologie-Start-ups.

Schon mit 16 Jahren hat er die Basis dafür geschaffen. Er schmiss die Schule und fand seinen Spaß im Programmieren von Computerspielen. Nach einem Jahr bemerkte er den jugendlichen Leichtsinn und drückte wieder die Schulbank. Er brachte es zum Bachelor in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Cambridge. Sein Vater war in der British Army und stationiert in Rinteln im Weserbergland. Als Greg Jackson drei Jahre alt war, zogen die Eltern mit ihm zurück auf die Insel. Er verließ damals die Bundesrepublik, ohne ein Wort Deutsch gelernt zu haben, hatte stattdessen aber schon den britischen Humor angenommen.

Wie David Beckham

Der macht seine Aussagen so plakativ. Wenn er davon spricht, dass er ja nur das "Skelett" von Octopus geschaffen habe, Partner und Mitarbeiter das "Fleisch" seien. Seine Aufgabe sieht Jackson primär darin, Partner und Finanzmittel für die ehrgeizigen Expansionspläne zu akquirieren. Octopus sei wie ein frühreifer, 17 Jahre alter Teenager im Profifußball, ein außergewöhnliches Talent, das eine lange Karriere vor sich habe. "Wir werden uns weiter entwickeln und wachsen - wie David Beckham." Die englische Fußballikone von Weltrang mit ausgeprägtem Charakter. Für die Umbrüche auf den globalen Energiemärkten brauche es "Schlüsselcharaktere", lacht Greg Jackson - und meint sich.

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