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17 Mar

Daniel Wiegand beschreitet einen Grat. Begeistert redet er über Entwicklungserfolge des Flugtaxi-Projektes Lilium; doch zu redselig will er auch wieder nicht sein. Zu sensibel ist es, Einzelheiten über den Stand des ehrgeizigen Projekts auszuplaudern. So ist es als Auskunftsfreude zu werten, wenn der Vorstandsvorsitzende und Mitgründer des Start-Ups aus Weßling bei München Details nennt, die intern bekannt, aber offiziell noch nicht nach draußen gedrungen sind: neue Flugtests, die Präsentation des Serienflugzeuges, das zügige Erreichen der Gewinnschwelle oder die Börsenpläne als Teil von „Plan A“.

18.Februar 2021

Ambitionierte Luftverkehrskonzepte wie Lilium rufen schon mal Skeptiker auf den Plan, die die Machbarkeit in Frage stellen. Daniel Wiegand, 35 Jahre alt, ficht öffentlich verbreitete Kritik an dem Jet-Vorhaben indes nicht an. Er will es erst recht nicht als defensives Verhalten verstanden wissen, wenn er einen Zwischenstand gibt – und für seine Verhältnisse offen redet: „Wir sind im Plan“, sagt er mit ruhiger Stimme und schmunzelt: „Wir haben es bislang nur nicht kommuniziert.“

                         Daniel Wiegand                                                                  Fotos Rüdiger Köhn

Vorrang hat die Entwicklung eines Senkrechtstarter mit 36 elektrischen Triebwerken und fünf Sitzplätzen, rund 1,5 Tonnen schwer. Der Stromer der Lüfte soll 300 Kilometer in der Stunde fliegen und 300 Kilometer zurücklegen. Wiegand hat Lilium 2015 mit Sebastian Born, Patrick Nathen und Matthias Meiner gegründet; sie kennen sich als Ingenieure der Luft- und Raumfahrt von der TU München. Fünf Jahre später sieht er die Lilium GmbH als das „größte E-Flugzeug-Unternehmen der Welt“, bezogen auf die Zahl von 600 Mitarbeitern. 2020 wurden aus 100.000 Bewerbungen 250 Beschäftigte rekrutiert. 2021 soll die Belegschaft auf 700 Mitarbeiter wachsen.

Mit Start-Up hat das nicht mehr viel zu tun. Und doch bleibt es eines. Mit einer Bewertung von deutlich mehr als 1 Milliarde Dollar ist es zum „Unicorn“ aufgestiegen; zum Einhorn, wie Neugründungen mit mehr als 1 Milliarde Dollar Unternehmenswert genannt werden und von denen es hierzulande nicht viele gibt. 285 Millionen Dollar hat Lilium allein 2020 eingesammelt; so viel wie kein anderes deutsches Start-Ups in diesem Jahr. Die Finanzierung steht und reicht erst einmal für die nächsten Schritte.

Pläne konkretisiert

Über die spricht der Unternehmensgründer erstmals detaillierter. „Unser Ziel ist die Zulassung des ersten Serienfliegers bis Ende 2023“, sagt er. „2024 werden die ersten zahlenden Kunden unseren Service genießen, 2025 wollen wir operativ in mehreren Märkten vertreten sein.“ Bis dato wurde weich, also unpräszies, davon gesprochen, dass Lilium spätestens 2025 starten wolle. „Im Frühjahr gehen wir in die nächste Runde der Flugtests mit unserem Demonstrator, dann wollen wir in Richtung unserer anvisierten Höchstgeschwindigkeit von 300 Kilometern in der Stunde kommen.“ Und: „Wir stellen auch das Serienflugzeug vor.“

Das sehe zwar ähnlich wie der Demonstrator aus, werde aber etwas länger sein und eine höhere Nutzlast haben.Die ersten Testflüge des Demonstrators im Oktober 2019 und danach haben neue Erkenntnisse gebracht. Die höhere Nutzlast bedeutet nicht, dass nun mehr Passagiere in der Fahrgastzelle untergebracht werden sollen, die in der Breite einem Taxi der Mercedes E-Klasse ähnelt. Das Interieur und die Sitze sollen ja auch bequem sein; das kostet Gewicht. Die kommerzielle Version des E-Fliegers wird ein Cockpit erhalten. Der Pilot sitzt vorne, hinter ihm nehmen die vier Passagiere Platz.

Das ist der Unterschied zum Taxi. Mit dem vergleicht Wiegand das Konzept immer gerne, soll doch ein Lilium-Flug nicht teurer sein als eine Taxi-Fahrt. Aus Sicherheitsgründen wird kein Fahrgast neben dem Piloten sitzen. Gerade erst hat Lilium die Kooperation mit Lufthansa zur Ausbildung von Piloten vereinbart. Bereits qualifizierte Verkehrspiloten wird eine Zusatzausbildung als Lilium-Jet-Pilot angeboten.

Bei allen Erkenntnisgewinnen fehlte es 2020 mitunter an Fortune. Im März brannte in der Halle auf dem Werksgelände des Sonderflughafens Oberpfaffenhofen einer von zwei Prototypen ab. Ein Kurzschluss in Batterien löste ein Feuer aus und verursachte einen Totalschaden. Da war die erste wichtige Testphase gerade abgeschlossen – Glück im Pech gehabt. Corona hat wesentlich tiefere Spuren hinterlassen. Drei Viertel der Mitarbeiter arbeitet seitdem von Zuhause. ;„Arbeiten unter erschwerten Bedingungen“, nennt Wiegand das. Natürlich sei von Nachteil, wenn man nicht im Team vor Ort zusammen arbeite. Dennoch erreiche die Arbeitsgeschwindigkeit 95 Prozent.

Die widrigen Umstände führen dazu, dass die zweite Testphase nun im Frühjahr beginnt, nicht – wie einst beabsichtigt – Ende 2020. Derweil gibt es Bewegung in anderen, ebenso zu erschließenden Betätigungsfeldern. Anfang September vergangenen Jahres hat Lilium mit den Flughäfen Düsseldorf und Köln vereinbart, Konzepte für Drehkreuze als Teil eines regionalen Netzwerkes in Nordrhein-Westfalen zu erarbeiten. Noch konkreter ist der Vertrag zum Bau eines „Vertiport“ in Lake Nona bei Orlando in Florida als erster ausländische Standort. Weitere Abkommen zum Aufbau von Stützpunkten - verbunden mit einem Streckennetz - sollen in Kürze folgen, kündigt der Vorstandschef an. Weltweit sei man mit rund 50 Standorten in Gesprächen, darunter zehn in Deutschland; auch mit Großstädten.

Berlin, Hamburg, München ...?

Wer von den großen Metropolen Berlin, Hamburg oder München dabei ist, sagt er nicht. Er würde ja gerne, alleine schon der Transparenz halber; darf er aber nicht, weil die Gesprächspartner den Daumen drauf haben. Sicher ist: 2025 soll in zwei bis drei Regionen ein Netzwerk mit einem Hub in Betrieb gehen. Das werden überschaubare, kompakte Anlagen mit 6 bis 8 Gates sowie einem Start- und Landeplatz sein, wo Hunderte von Passagieren in der Stunde abgefertigt werden können. Abschlüsse über Hubs sind so wichtig wie die voranschreitenden, aber langwierigen Zulassungsverfahren oder der Aufbau einer „stabilen Zulieferkette mit etablierten Playern“, wie Wiegand sagt.

Lilium gehört zu den rund 30 E-Flugtaxi-Projekten in Europa und zu den fast 100 Vorhaben weltweit, wie die Unternehmensberatung Roland Berger ermittelt hat. Dabei scheint man mit der 2011 gegründeten Volocopter aus Bruchsal um die Wette zu fliegen. Die will 2023 im Stadtstaat Singapur mit einem kommerziellen Flugtaxi-Service starten. Es hat dort bereits erste Testflüge im offenen Gelände gegeben. Lilium und Volocopter gelten als Aushängeschilder deutscher Innovationen. Allein optisch unterscheiden sich beide, gleicht doch der Volocopter mit 18 Rotoren einem Ultraleicht-Hubschrauber.

Doch auch die Konzepte sprechen unterschiedliche Märkte an. Die Bruchsaler zielen auf ein Taxi-Modell ab, die Münchner auf einen regelmäßigen Pendelverkehr. „Ein Lilium Jet in der Luft ist wie der ICE am Boden“, sagt Wiegand. „Mit dem großen Unterschied: Uns reicht das Dach eines Parkhauses als Start- und Landeplatz.“ Das erhöhe die Flexibilität. „Mag im direkten Vergleich eine Zugfahrt energiesparender sein, in der Gesamtenergiebilanz ist angesichts des aufwendigen Baus der Bahn-Infrastruktur das Elektroflugzeug das umweltfreundlichste Verkehrsmittel – jenseits des Fahrrads.“  Keine Trassen, keine Straßen, keine Transitverkehre, kein Feinstaub, zählt er Vorteile auf. Und Lärm? Beim Start sei der Lilium schon zu hören, aber bei weitem nicht so laut wie ein Hubschrauber. Im Flugbetrieb fliege der E-Jet deutlich leiser. 

Damit lasse sich Geld verdienen, ist Wiegand überzeugt. „Das sehen auch unsere Investoren so“, sagt er. „Wir werden eine hohe Auslastung haben, denn anders als ein Taxi mit individuellen Fahrten basiert unser Modell auf einem Shuttle-Service.“ Ein Pilot sei zwar wesentlich teurer als ein Taxi-Fahrer. Dafür leiste er zwanzig Mal mehr Personenkilometer. Soll heißen: „Wenn wir auf dem Markt sind, wollen wir innerhalb der ersten zwei Jahre profitable Strecken betreiben; so sieht es der Business Plan vor.“ Selbst eine kurze Strecke vom Münchner Hauptbahnhof zum mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht angebundenen Flughafen im Erdinger Moos könnte sich lohnen.

Flughafen- und Flugbetieb, Services, Buchungssysteme als Teile des Geschäftsmodell

Die Vorstellungen gehen weiter. Das Geschäftsmodell kann über Produktion und Verkauf hinausgehen. Der Betrieb des Flughafens mit seinen Services ist ebenso denkbar wie das Fliegen und sogar das Buchungssystem. Für den Lilium-Chef soll das Unternehmen gegenüber den Kunden wie eine Airline auftreten.  

Und doch ist Skepsis an der Stichhaltigkeit und Machbarkeit dieses Konzeptes laut geworden: Zweifel am Zeitplan, an Fortschritten in der Zulassung, an der Reichweite, an der Gewichtskalkulation, an Geschwindigkeit. Fehlende Transparenz wurde bemängelt, befeuert durch viel Geheimniskrämerei durch Lilium selbst. Wobei: Wer lasse sich in den technischen Belangen inmitten der Entwicklung in die Karten schauen, fragt Wiegand. Begleitet von kritischen Berichten in Fachmagazinen steht hinter der Kritik Mirko Hornung; Experte für Luftfahrt und Professor an der TU München, der viele innovative Studentenprojekte wie das des Senkrechtstarters Horyzn fördert. 

Ein Kritiker von Gewicht

Ein Kritiker tritt auf den Plan, der in der Luftfahrt als Kapazität und Instanz gilt. Das gibt den Vorhaltungen Gewicht.„Herr Hornung hat eine Einladung von uns bislang nicht angenommen“, reagiert Wiegand. Sein Team wolle mit ihm über Fakten und über die falschen Berechnungen reden, die der Kritik zugrunde liegen würden. „Das bedauere ich sehr, denn wir alle kennen uns schon seit Studienzeiten.“Lange vor Gründung von Lilium hätten die Studenten Kontakte mit Hornung gehabt. Aber: „Ich will hier keine öffentliche Schlammschlacht austragen, das ist das letzte, was wir brauchen.“ Neuer Versuch: „Deshalb lade ich Herrn Hornung weiterhin ein, zu uns zu kommen.“ 

Und Wiegand hegt die Hoffnung: „Die Transparenz und damit die Stichhaltigkeit des Projektes wird sich zwangsläufig ergeben, wenn wir die Flugtests, weitere Vereinbarungen über die Errichtung von Hub-Netzwerken sowie strategische Partner präsentieren.“ Er weiß die Geldgeber im Rücken, die 60 Prozent an Lilium halten; der Rest liegt in Gründerhänden. Der Internetkonzern Tencent aus China ist größter Financier; Risikokapitalgeber Atomico, LGT, Freigeist, Obvious Ventures sind dabei, als einer der Ersten auch Tech-Investor Frank Thelen. Im Sommer 2020 kam mit der britischen Baillie Gilford ein bekannter Name hinzu.

„Alle unsere Investoren bleiben an Bord, weil sie nicht nur den Markteintritt erleben, sondern auch den Wert ihres Engagements steigern wollen“, sagt Wiegand. „Gespräche mit weiteren laufen; wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werden wir sie an Bord holen.“ In den vergangenen drei Jahren seien knapp 400 Millionen Dollar eingesammelt worden. „Diese Größenordnung benötigen wir noch einmal, um die Serienfertigung in drei Jahren zu starten.“Mehrere Hundert Jets will Lilium im Jahr fertigen; in Oberpfaffenhofen, wo die Hallen mit 10.000 Quadratmetern stehen, aber auch im Ausland. Dann geht es ans „Skalieren“, wie Wiegand sagt. Der Jet soll eine Plattform für einen Senkrechtstarter etwa mit 15 Sitzen sein, warum nicht auch für einen 60-Sitzer. Phantasie? Die Antwort ist klar: „Ein Börsengang nach Markteintritt ist Teil des Plans A.“ Das sei Ausdruck der Wachstumsperspektive „Der Kapitalmarkt kann nun einmal viel mehr Geld zur Verfügung stellen – wenn wir zum Beispiel ein zweites Flugzeugprogramm auflegen.“

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